Pfarrerin Christiane Böcker

„Leid und Glück sprengen bisweilen unser Fassungsvermögen“

von Anna Neumann

13.06.2023

Die LVR-Frida-Kahlo-Schule, die Schule für Kinder mit Körperbehinderung in Sankt Augustin, wird 50. Das feiert sie am 14. Juni. Ein Interview mit Schulpfarrerin Christiane Böcker


Ihre Schule feiert ihren 50. Geburtstag. Hat sie bereits Geschenke bekommen?

Das größte Geschenk für die LVR-Frida-Kahlo-Schule sind ihre Schülerinnen und Schüler. Auch wenn sie ihr 50-jähriges Bestehen feiert: Die Kinder und Jugendlichen halten sie jung wie am ersten Tag. Sie bringen immer neu ihre Lebensfreude und ihre Neugier, ihre Lebendigkeit und ihre Fragen mit in die Klassenräume. Dabei sind die Schülerinnen und Schüler schon allein wegen ihrer Behinderungen sehr unterschiedlich. Dazu kommen wie bei allen Menschen die verschiedenen Persönlichkeiten der Kinder. Die Schülerinnen und Schüler an der LVR-Frida-Kahlo-Schule sind eben bunt, und sie dürfen so sein, wie sie sind. Das macht die Schule so liebenswert.

Welche Geschenke wünschen Sie den Kindern?

Den Schülerinnen und Schülern wünsche ich, dass ihnen auch über die Zeit, die sie in der Schule verbringen, hinaus Menschen mit Offenheit und Empathie begegnen. Manche Kinder und Jugendliche sind zum Beispiel in die Ortsgruppe ihrer Jugendfeuerwehr integriert, andere nehmen an der Kindergruppe oder der Kommunions- oder Konfirmationsvorbereitung ihrer Kirchengemeinde teil. Damit das gelingt, ist oftmals ein wenig Engagement und Fingerspitzengefühl der Beteiligten vor Ort nötig. Wenn es dann aber glückt, ist es nicht nur für die Kinder und Jugendlichen mit Handicap ein großer Gewinn. Die soziale Kompetenz der gesamten Gruppe wächst und der Zusammenhalt wird gestärkt. Das kommt allen Gruppenmitgliedern zugute.

Und den Eltern?

Auch für die Eltern habe ich Wünsche: Dass ihr Kind mit einem Handicap leben muss, ist für sie oftmals schwer zu verkraften und sie durchleben einen Trauerprozess. In den Elterngruppen, die ich leite und die für alle Eltern behinderter Kinder im Kirchenkreis offen sind, unterstützen sich Mütter und Väter untereinander in diesem Prozess. Ich wünsche den Eltern aber auch ein wertschätzendes Umfeld, das ihnen hilft, ihre Kinder mit ihrer Behinderung anzunehmen. Und ich wünsche ihnen strukturelle Unterstützung. Es gibt viel zu wenig Kurzzeitpflegeplätze, damit Mütter und Väter sich von der kraftraubenden Pflege und Betreuung einmal erholen können. Auch den familienunterstützenden Diensten fehlt es an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, so dass die Familien oft auf sich gestellt sind. Darunter leiden nicht zuletzt auch die Geschwisterkinder.

Und Ihren Kolleginnen und Kollegen?

Den Lehrerinnen und Lehrern, Therapeutinnen und Therapeuten wünsche ich weiterhin viel Freude bei ihrer wertvollen Arbeit! Sicherlich wäre es ein großes Geschenk für sie, wenn die Bürokratie nicht immer mehr ihrer Aufmerksamkeit forderte, sondern sie ihre Zeit und Kraft möglichst uneingeschränkt auf die Schülerinnen und Schüler konzentrieren könnten. Denn ihre Arbeit fordert ein besonderes Maß an Präsenz, Engagement und sozialer Kompetenz.

An Ihrer Schule liegen Glück und Leid oft nahe beieinander.

Ich bin froh darüber, dass die Schulleitung der LVR-Frida-Kahlo-Schule sich dafür entschieden hat, das Schuljubiläum u. a. auch mit einem Festgottesdienst zu feiern. Denn Glück und Leid sind manchmal hier so groß, dass diese Welt alleine sie nicht fassen kann. Bisweilen ist ein Kind lebensbedrohlich krank, oder seine Erkrankung schreitet fort. Immer wieder kommt es auch vor, dass Kinder oder Jugendliche so starke Behinderungen haben, dass sie während ihrer Schulzeit sterben. Dann ist es gut, Gott seine Fragen und Klagen entgegen schreien und ihm die eigene Ratlosigkeit in die Hände legen zu können. Manchmal geschehen hier aber auch Dinge wie Wunder, die großes Glück hervorrufen. Ein Kind kann endlich die starken Medikamente absetzen, die es lange Jahre nehmen musste, und es beginnt endlich zu wachsen. Ein Junge war sein Leben lang stumm und spricht nun die ersten Worte. Jugendliche, die mit außerordentlichen körperlichen Beeinträchtigungen zu kämpfen haben, feiern ihren erfolgreich bestandenen Hauptschulabschluss. Leid und Glück sprengen so bisweilen das Fassungsvermögen unserer Welt und drängen mit Klage und Jubel hin zu Gott.

Wer feiert mit?

Die liebsten Festgäste sind mir natürlich die Kinder und Jugendlichen. Ohne sie könnten wir den Jubiläumsgottesdienst unter der Überschrift „50 Jahre gemeinsam auf Schatzsuche“ gar nicht feiern, denn sie gestalten ihn aktiv durch ihre Beiträge mit und berichten von den vielen Schätzen, die es an der LVR-Frida-Kahlo-Schule zu entdecken und zu heben gibt. Am Herzen liegt mir jedoch auch, dass wir in einer großen Gemeinschaft von Mitarbeitenden, Eltern und Kindern feiern. Dass die Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises An Sieg und Rhein ihr Kommen zugesagt hat, freut mich besonders. Es spiegelt wider, dass dem Kirchenkreis die Arbeit für und mit Menschen mit Handicap und ihren Familien wichtig ist.

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