Prof. Joachim Piepke, Pater der Steyler Missionare

Unheilserfahrungen aufarbeiten

von Redaktion EKASuR

26.07.2022

Ökumenische Weite gehört zur DNA des katholischen Männerordens "Steyler Missionare". Darüber reden Psychiater Dr. Nils Hollenborg und Pfarrer Dr. Stefan Heinemann mit Prof. Joachim Piepke (74).


Sie haben zehn Jahre in Sao Paulo in Brasilien gelehrt, dann in Rom promoviert – wie gut funktioniert innerchristliche Ökumene in anderen Erdteilen?

Nicht unbedingt besser als in Deutschland. In Sao Paulo hatten wir sehr gute Kontakte zu lutherischen, presbyterianischen und methodistischen Gemeinden. Ich selber habe interkonfessionelle Eheschließungen mit Presbyterianern und Methodisten begleitet. Aber das Gespräch mit pentekostalen Gruppen gestaltet sich bis heute schwierig. Andere Konfessionen werden von ihnen gemieden, als sei es der Teufel. Da steckt ein großes Erwählungsbewusstsein dahinter, gepaart mit einem Stück Fanatismus.

Die Steyler Missionare sind der siebtgrößte Männerorden in der römisch-katholischen Kirche. Den Orden wird nachgesagt, dass sie ein gewisses Eigenleben in ihrer Kirche führen. Haben Sie mehr Freiheiten, ökumenische Kontakte zu gestalten?

Ich erzähle Ihnen ein Beispiel: An den Werktagsmessen in unserer Krypta nahm vor einigen Jahren regelmäßig ein evangelischer Prädikant aus Ihrem Kirchenkreis teil – und er nahm auch die Eucharistie. Wir Ordensbrüder sahen darin kein Problem! Als eines Tages eine Gruppe katholischer Charismatiker an der Messe teilnahm, kam es zum Disput: Die Teilnahme eines erkennbar evangelischen Christen an einer katholischen Eucharistie sei kirchenrechtlich unzulässig. Der damalige Rektor und ich haben die Gruppe in ihre Grenzen gewiesen. Denn in unserem Ordenshaus machen wir die Regeln. In unserem Kirchraum bestimmen wir, was passiert. Als Orden mit päpstlichen Rechten sind wir keinem Ortsbischof unterstellt. Die Orden sind eigenverantwortlich und selbstständig – bis hin zu Entscheidungen in theologischen Streitfragen.

Wie bewerten Sie denn die ökumenische Großwetterlage in Deutschland?

In den letzten zwanzig Jahren ist die ökumenische Ausgangslage eher schlechter geworden – weniger im theologischen Diskurs der Institutionen als vielmehr in den Ortsgemeinden. In den 1980er Jahren gab es in meiner Heimatgemeinde bei Freiburg jährliche ökumenische Eucharistiefeiern mit der evangelischen Schwestergemeinde. Das wurde dann von oben gestoppt. Heute reagiert die katholische Amtskirche bereits kritisch, wenn es allein um ökumenische Wortgottesdienste geht. Ich erlebe eine große Angst von Verantwortungsträgern in der katholischen Obrigkeit davor, dass sie dem eigenen Auftrag nicht treu genug dienen – das ist aber ein sehr enges Verständnis von Glaube und Kirche.

Steht dahinter auch die Angst, die eigene Identität zu verlieren, wenn zu viele Glaubensgrundsätze relativiert werden?

Ja, das könnte man so sehen.

Nun ist die Spiritualität ein Band,  das Christinnen und Christen über alle Grenzen hinweg zusammenbindet. Wie könnte eine heilsame Spiritualität aussehen?

Alle Menschen teilen dieselbe existenzielle Frage: Wie werde ich heil? Alle Menschen wünschen sich ein harmonisches – ein heiles – Leben. Aber in Krankheit, Tod und Missgeschick erfährt der Mensch Unheil, das er wieder heil werden lassen möchte. Jede Religion bietet an, Unheilserfahrungen aufzuarbeiten – und stellt sich den letzten Fragen um Krankheit und Tod, mit denen sich der Mensch nicht zufriedengeben kann. Was kann Religion denn anbieten, um die Unheilserfahrung des Todes aufzuarbeiten? Für das Christentum ist die Erfahrung des auferstandenen Jesus Christus prägend. Das war so begeisternd, dass darüber die Jesus-Bewegung zur Weltreligion wurde. Brasilianische Candomblé-Kulte, eine in Brasilien verbreitete Form des Voodoo, stellen zu diesem Zweck Kontakt mit übernatürlichen Geistern her. Sie sollen Hinweise geben, wie das Unheil im eigenen Leben zu überwinden sei. Sehr eindrücklich war für mich, als eine Candomblé-Priesterin vor meinen Augen in Trance fiel und mit der Stimme eines lange verstorbenen Indianerhäuptlings zu mir sprach.

Hilft das den Menschen denn? 

Als Psychiater würde ich das  als Autosuggestion betrachten. Ja, das wäre die banale Erklärung. Aber für die Menschen ist das Realität. Für den Gläubigen ist das eine Tatsache. Daran kann man nicht rütteln. Wenn jedoch ein Kranker einen Geist empfängt und dann geht es ihm besser damit – was wollen Sie dagegen sagen? Wie erleben Sie das denn als praktizierender Psychiater, Herr Hollenborg?

Gerade bei Patienten ohne religiöse Sozialisation, denen religiöse Vorstellungen nicht helfen, erlebe ich, dass sie viel stärker auf die Medikamentengabe fixiert sind – und diese Medikamente wirken im Erleben der Patienten viel schneller, als sie nach medizinischen Erkenntnissen wirken können. Das ist dann ein Placeboeffekt.

Alle Menschen sind konfrontiert mit Unheilserfahrungen in Dimensionen, die jenseits ihrer Kontrolle liegen – und sie brauchen quasi-magische Handlungen, um das Gefühl zu bekommen, Einfluss darauf nehmen zu können. Das ist doch die historische Erfahrung: Wenn wir unsere Kirchen säubern und die Volksfrömmigkeit entsorgen, dann kommen die Heiligenstatuen durch die Hintertür wieder rein. Und vieles, was wir aus der aufgeklärten Religiosität ausgegrenzt haben, finden Sie heute auf Esoterikmessen – nämlich das, was vor 200 Jahren in katholischen Kirchen seinen Ort hatte. Nur noch viel schöner! (lacht) Vielleicht war das nie weg.

Haben Sie selbst schon einmal erfahren, dass solche Handlungen ihnen geholfen haben?

Magisches Denken liegt mir fern. Meine Prägungen als Heranwachsender und meine theologische Ausbildung haben mich zu einem rational denkenden Menschen gemacht. Aber der Glaube an Gott hat mir ganz sicher im Leben geholfen – nur brauche ich dazu keine handfesten Gegenstände und Rituale. Ich habe jedoch erlebt: Man kann Rituale nicht aus der Welt schaffen, sonst schaffen Menschen sie sich selber. Und daran haben die beiden großen Kirchen heute zu knabbern: Ihre Rituale werden von vielen Menschen nicht mehr als aussagekräftig empfunden.

Aber bräuchte die Ökumene zwischen den Kirchen dann nicht mehr gemeinsame Rituale, um die Gemeinsamkeit erlebbar zu stärken?

Rituale kann man nicht erfinden. Rituale müssen wachsen aus dem spontanen Empfinden der Menschen. Dafür können kirchliche Mitarbeitende aufmerksam sein, Bedürfnisse aufgreifen und Formen verstärken. Als gemeinsames ökumenisches Ritual würde sich in meinen Augen die Osternacht anbieten. Die Symbolik von Licht und Feuer ist uralt. Warum nicht in einer ökumenischen Osternachtfeier gemeinsam das Osterfeuer entzünden und es an Christen aller Konfessionen weiterreichen?

Fortsetzung folgt:
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