Umkehren zum Leben beziehungsweise Antisemitismus ist Sünde

von Anna Neumann

16.04.2021

Die Passions- und Osterzeit war jahrhundertelang Pogromzeit. Jüdinnen und Juden wurden fälschlich für den Tod Jesu verantwortlich gemacht, gequält und ermordet.


Christinnen und Christen müssen den Anfeindungen gegen Jüdinnen und Juden widerstehen. Sie müssen als Geschwister die Treue Gottes bezeugen. Darauf macht die ökumenisch verantwortete Kampagne „#beziehungsweise –jüdisch und christlich: näher als du denkst“ aufmerksam. Die Kampagne möchte dazu anregen, die enge Verbundenheit des Christentums mit dem Judentum wahrzunehmen.

Auch und gerade im Blick auf die Feste wird die Verwurzelung des Christentums im Judentum deutlich. Mit dem Stichwort „beziehungsweise“ soll der Blick auf die aktuell gelebte jüdische Praxis in ihrer vielfältigen Ausprägung gelenkt werden. Die Kampagne ist ein Beitrag zum Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. Für jeden Monat gibt es einen neuen Impuls – jetzt im April zum Thema Antisemitismus.

 

Mörderische Folgen

Rabbinerin Dr. Ulrike Offenberg: „Antisemitismus hatte und hat mörderische Folgen, und selbst seine ,milderen‘ Varianten vergiften das Leben. Die religiös, rassisch oder politisch begründete Abwertung des Judentums fordert die jüdische Gemeinschaft zu allen Zeiten zu Antworten heraus. Manche Jüdinnen und Juden versuchten den Demütigungen zu entgehen, indem sie möglichst wenig als solche erkennbar sind und sich an die Umgebung assimilieren. Am anderen Ende des Spektrums finden sich jene, die diese Bemühungen als aussichtslos verwarfen und die Errichtung eines eigenen Gemeinwesens erstrebten, in dem Judenhass keine Chance mehr haben würde. Jüdische Gegenwehr äußerte sich auch in vielfältigen Formen von Aufklärung, Apologetik und Entkräftung antisemitischer Anwürfe. Der Verunsicherung von außen wurde Stolz auf die eigene Kultur, Religion und Geschichte entgegengesetzt. Nur wenige ließen sich beeindrucken von christlichen Missionierungsversuchen, gleich ob sie als Zwang oder in vermeintlicher Liebe vorgetragen wurden.“

Dr. Ulrike Offenberg ist eine Historikerin, gebürtig aus Berlin. Sie ist seit 2016 Gemeinderabbinerin in Hameln.

Böses Herz

Der Theologie-Professor Dr. Peter von der Osten-Sacken (Berlin, Jahrgang 1940) hat einmal gesagt: „Der Antisemitismus hat …. seinen Sitz …. in einem bösen Herzen.“

Darauf bezieht sich Prof. Dr. Rainer Kampling, Geschäftsführender Direktor „Biblische Theologie/NT“ in seinem Text: „Das Zitat eines der Großen im jüdisch-christlichen Dialog verweist darauf, dass es sich hier um eine theologisch begründete Reflexion zum Antisemitismus handelt. Es geht mithin nicht um die gesellschaftlich-politische Analyse des Antisemitismus, der in den letzten Jahren auch in Deutschland immer unverhohlener seine Fratze zeigt und Jüdinnen und Juden existentiell und damit die gesamte demokratische Kultur und Gesellschaft bedroht. Diesen Antisemitismus zu bekämpfen ist Aufgabe dieser Gesellschaft, und zwar nicht nur aus Verantwortung vor der Geschichte und aus Solidarität, sondern auch aus der Einsicht, dass da, wo er obsiegt, keine menschenwürdige Existenz mehr möglich ist.

Die anders fundierte Rede vom Antisemitismus unterscheidet sich nicht zuletzt dadurch, dass ihr die distanzierte abstrakte Redeform nur begrenzt möglich ist. Gewiss ist es durchführbar, den Antisemitismus als ein Phänomen der Kirchengeschichte zu beschreiben, das je unterschiedlich Theologie und Kirche beeinflusste, aber selbst in diesem Kontext kann nicht davon abgesehen werden, dass Sünde getan wird, es also Akteure der Sünde gibt. Wenn man vom Antisemitismus spricht, kann man von den Antisemiten nicht schweigen. Ihre Haltung und Tun müssen als Sünde benannt werden, weil sie eine Verneinung der Anderen leben, biblisch gesprochen: sie hassen. Sie können sich einreden, ihr Hass wäre beschränkt auf bestimmte Menschen, aber der Antisemitismus ist eine Sünde, die den Menschen zur Gänze erfasst. Es gibt keine guten Antisemiten. Dann noch zu meinen, man könne an den einen wahren Gott glauben, ist nicht einsichtiger als das Reden Kains.“

Kampling, Jahrgang 1953, ist katholischer Theologieprofessor in Berlin.

 

Link

zur Kampagne „jüdisch beziehungsweise christlich“