Screenshot von der Videokonferenz über Resilienz
Screenshot von der Videokonferenz über Resilienz

Tag des Religionsunterrichts: Was macht stark?

von Anna Neumann

23.11.2020

Der Begriff ist nicht erst seit der Pandemie in aller Munde: Resilienz. Buchtitel dazu zeigen gerne einen schützenden Regenschirm oder ein Boot, das Wind und Wellen trotzt.


Sie suggerieren: Das tangiert mich eigentlich nicht. Man bleibt trotzdem dieselbe Person wie vorher. Mit diesem Vorurteil räumte Prof. Dr. Cornelia Richter beim diesjährigen Tag des Religionsunterrichts auf. Denn die Sache habe einen Haken: „Schwere Krisen lassen uns nicht unangekratzt.“

Leib- und Magenthema

Resilienz in Religion und Spiritualität war das Thema des Vortrags der Theologin, die dazu auch im Rahmen eines interdisziplinären Forschungsprojekts an der Uni Bonn arbeitet. „Mein Leib- und Magenthema“, wie sie bekannte. Ob Resilienz nun eine Eigenschaft ist, die man mitbringt, oder das Resultat einer Entwicklung, in jedem Fall geht es um eins: Stress und Widrigkeiten zu bewältigen, ohne psychisch oder physisch daran zu zerbrechen. Dabei gebe es durchaus aktive, mediopassive und passive Reaktionsphasen. Und da kommt die Spiritualität ins Spiel. Denn bestes mediopassives Beispiel sei das Gebet. Man ist aktiv, gibt die Sache aber ab: „Ich komme nicht weiter, mach Du!“

Ziele suchen

Ganz praktisch riet Richter zur Dehnung oder Intensivierung von Präsenz. Etwa, wenn gerade ein wirklich schöner Tag ist, diesen als Situation auch bewusst wahrzunehmen. Die Covid-19-Pandemie zeige, wie entscheidend es sei, wie Krisen semantisiert, also umschrieben werden. Werden sie als Erdbeben, Tsunami oder auch als Chance zu Besinnung und Selbstfindung bezeichnet? Krisen wie eine Krankheit oder Trennung beträfen vor allem ältere Menschen. Hier gelte es zu überlegen, welche Ziele suche ich, was könnte ich Neues beginnen. Kinder gehen da oftmals praktisch heran.

Nicht outen müssen

Was in Krisenzeiten Kindern und Jugendlichen hilft – und in der Schule möglich ist: Spiritualität im Religionsunterricht war das Thema des zweiten Vortrags von Dr. Bärbel Husmann. Die Religionspädagogin aus Hannover machte gleich klar: Weder Schule oder Religionsunterricht, noch die Lehrerinnen und Lehrer spielen für die Entwicklung von Religiosität eine Rolle. Vielmehr täten dies Großeltern, Eltern und Freunde. Sie setzt auf Angebote, in denen sich die Schülerinnen und Schüler nicht selbst outen müssen: Sind sie religiös oder nicht? Das klappe, wenn sie externe Worte finden, zum Beispiel im Buch der Sprichwörter, oder Psalmtexte selbst fortschrieben.

Husmann setzt darauf, „ein Narrativ für den eigenen Lebensweg zu erproben“. So könnten die Kinder und Jugendliche Lebensgeschichten „à la Josef erfinden“. Ganz wichtig sei dann, über die Texte zu sprechen, nicht über die Verfasser. Gleiches gelte für selbst formulierte Gebetstexte. Als weiteres Element setzt sie auf Gesang als festes Ritual, wenn dies wieder möglich ist.

Seelsorge sehr gefragt

In zwei parallelen Workshops vertieften die Lehrerinnen und Lehrer das Thema. Dr. Wibke Janssen beschäftigte sich mit der Förderung von Resilienz im Schulalltag. Die Pfarrerin an der Liebfrauenschule Bonn unterrichtet Evangelische Religionslehre und ist als Schulseelsorgerin tätig. Sie erhält dreimal so viele Seelsorgeanfragen wie vor der Pandemie: Was wird etwa mit dem Abitur und der Zeit danach? Im Unterricht ist es ihr Anliegen, den Schulalltag besser verkraftbar zu gestalten und so Resilienz zu fördern.

Ältere Jugendliche haben etwa Belastendes in Form von kleinen Weihrauchkugeln auf dem Schulhof verbrannt. In der 9. Klasse malt sie mit den Teenagern Mandalas, so dass sie auch einmal Ruhe und Stille finden. Immer wieder schlägt Janssen auch die Brücke zum Kirchenjahr. Das betrifft sowohl die dunklen Novembertage wie auch den ersten Advent, das „kirchliche Silvester“.

Es braucht ein offenes Herz

Im zweiten Workshop von Dr. Delia Freudenreich ging es darum, Kinderspiritualität wahrzunehmen und zu fördern. Die Lehrbeauftragte im Fach Evangelische Theologie der Universität Kassel und Godly Play-Fortbildnerin berichtet, was die Forschung nach Rebecca Nye eigentlich über Spiritualität von Kindern weiß. Diese sei quasi „undercover“, das heißt man müsse oftmals zwischen den Zeilen lesen. Gleichzeitig knüpfe die Spiritualität von Erwachsenen oft eine Verbindung „zum inneren Kind“. Das könne ein Gefühl oder Geruch sein, „was tief in uns ist“.

Für Kinder gelte es, “das Gute hinter sich zu spüren“. Dies gelinge, indem man ihnen Raum gibt, ihre Phantasie ernst nimmt und ihnen die Möglichkeit bietet, Alltägliches zu transzendieren. „Wir benötigen ein offenes Herz“, damit Kinder vertrauen und etwas von sich zeigen können.

Sehr nah dran

Der Tag des Religionsunterrichts findet alljährlich am Buß- und Bettag unter der Regie der Schulreferentinnen Beate Sträter und Hiltrud Stärk-Lemaire zu einem Schwerpunktthema statt. Der Termin ist Treffpunkt der evangelischen Religionslehrkräfte an den allgemeinbildenden Schulen in den Kirchenkreisen An Sieg und Rhein, Bad Godesberg-Voreifel und Bonn. Er fand unter der Überschrift „Was uns stark macht – Resilienz und Formen des Glaubens“ erstmals rein digital statt.

„Das war sehr echt und sehr nah dran, auch wenn wir uns virtuell getroffen haben“, resümierte Hiltrud Stärk-Lemaire. „Und dass sich so viele angemeldet haben, freut uns ganz besonders“, so Beate Sträter mit Blick auf die mehr als  siebzig Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Viele unterrichtspraktische Unterlagen standen bereits im Chat als Download bereit, die Referentinnen werden zu ihren Vorträgen angefragt.

Bericht und Foto: Uta Garbisch

 

Weblink

Schulreferat der Kirchenkreise An Sieg und Rhein, Bonn und Bad Godesberg-Voreifel