Präses Manfred Rekowski
Präses Manfred Rekowski Foto: EKiR / Eric Lichtenscheidt

Präses Rekowski: „Menschen müssen existenzielle Relevanz von Kirche erleben“

von Anna Neumann

05.01.2021

Am 14. Januar entscheidet die rheinische Landessynode über die Nachfolge von Präses Manfred Rekowski, am 20. März wechselt der 62-Jährige in den Ruhestand. Ein Gespräch


Herr Rekowski, bei Krisen wie der Corona-Pandemie steht immer auch das Gottvertrauen auf dem Spiel: Die einen trägt es gerade jetzt, den anderen geht es verloren. Kennen Sie solche Belastungsproben auch aus Ihrem Leben?

Ich hatte zwar bisher sowohl beruflich als auch privat ein sehr erfülltes und recht unkompliziertes Leben. Aber als ich vor zwei Jahren von jetzt auf gleich erfuhr, dass ich an einer chronischen Form der Leukämie erkrankt bin, war das ein Moment, in dem ich gemerkt habe, dass ich mich auf ziemlich dünnem Eis bewege. Dabei habe ich erfahren, dass ich getragen und gehalten bin, und war selbst überrascht über meine Zuversicht. Zum Zeitpunkt der Diagnose vor zwei Jahren stand ich gerade vor der Aufgabe, sechs Rundfunkandachten zu schreiben und am nächsten Tag sogar eine Trauung in der Familie zu halten. Und zuerst dachte ich, das schaffe ich nie. Aber ich konnte das dann erstaunlich gut. Die schwierigsten Momente waren eigentlich die, in denen ich vertrauten Menschen von meiner Erkrankung erzählt habe. Ich kenne also dieses Fragezeichen – warum jetzt, warum ich, warum diese Krankheit? –, aber auch die Zuversicht, dass ich auf diesem Weg nicht allein unterwegs bin.

Wie geht es Ihnen jetzt?

Ich bin durch die Medikamente inzwischen so eingestellt, dass die Blutwerte wieder komplett im grünen Bereich sind. Ich gehe monatlich zur Kontrolle, nehme jeden Tag meine Medikamente, und die Nebenwirkungen sind verträglich. Das ist ein Geschenk des Himmels.

Eine Präses-Wahlperiode von acht Jahren ist sehr lang. Aber mit bald 63 Jahren wäre eine zweite Amtszeit für Sie denkbar gewesen. Warum lassen Sie sich stattdessen in den Ruhestand versetzen?

Ich hatte mir von Anfang an überlegt, das Amt nur für acht Jahre zu übernehmen. In der Politik sind das zwei Wahlperioden. Ich bin von der Synode 2013 in einer ganz bestimmten Situation gewählt worden, in der Menschen der Überzeugung waren, mit meinen Begabungen könnte ich der Kirche dienlich sein. Jetzt ist eine andere Situation, auf die eine andere Person mit ihren Möglichkeiten vielleicht besser reagieren kann. Darüber habe ich allerdings nie gesprochen, sondern erst bei der Synode 2020 bekanntgegeben, dass ich nicht wieder kandidieren werde. Bei der Entscheidung, damit zugleich auch in den Ruhestand zu gehen, hat dann die Erkrankung eine Rolle gespielt.

Das Gottvertrauen zu stärken, fällt der Kirche zunehmend schwerer, weil ihr selbst nicht mehr so vertraut wird. Wie haben Sie diesen Vertrauensverlust in Ihrer Amtszeit erlebt?

Kirche ist nicht als Institution identitätsstiftend, sondern erst, wenn Menschen ihre existenzielle Relevanz erleben. Ich denke zum Beispiel an den Anruf einer Kinderklinik mit Bitte um eine Taufe. Es war klar, dass danach die Geräte abgestellt werden. Unsere Aufgabe als Seelsorger ist es dann, Dinge auszuhalten, die man eigentlich nicht aushalten kann. Dass wir die großen kirchlichen Strukturen an die kleiner werdenden Zahlen anpassen müssen, ist ja richtig, aber das müssen wir unaufgeregt erledigen. Wichtiger ist es, Wege zu finden, von unserer Relevanz zu erzählen. Auch im Gottesdienst kann und muss alles Platz finden, was für Menschen relevant ist. Damit zu punkten und das ins Gespräch zu bringen, halte ich für zunehmend wichtiger.

Die Kirche der Reformation nimmt für sich ständige Veränderungsbereitschaft in Anspruch. Sie selbst haben davon gesprochen, neue Türen zum alten Haus Kirche öffnen zu wollen. Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Erneuerungsbilanz?

Kirche darf nicht strukturkonservativ sein. Wir können nicht den Auszug aus Ägypten predigen und gleichzeitig Zement anrühren und sagen, bei uns muss aber alles so bleiben, wie es ist. Mir ist klar, dass mit einem Abschied nicht alles sauber abgeschlossen ist, sondern vieles fragmentarisch bleibt. Wir sind etwa im Blick auf das leichte Gepäck gerade mal so weit, dass inzwischen fast alle sagen, wir müssen den Aufwand für Leitung, Organisation und Verwaltung unserer Kirche reduzieren. Aber bei der Umsetzung ist noch Luft nach oben. Auch in der Kirche wächst die Einsicht in nötige Veränderungen in der Regel erst, wenn der finanzielle Druck zunimmt.

Ein Präses in der rheinischen Kirche kann es eigentlich nie allen recht machen. Immer wird das vermisst, was der jeweilige Amtsinhaber gerade nicht verkörpert. Haben Sie das auch so wahrgenommen?

Einerseits kann ich mich über fehlende Loyalität und unzureichende Unterstützung wirklich nicht beklagen. Aber in manchen Momenten habe ich auch gespürt: Wer ein kirchenleitendes Amt übernimmt, hat keinen Anspruch darauf, durchgängig fair behandelt zu werden. Mit dieser Erfahrung habe ich durchaus Mühe gehabt. Aber ich scheide weder verbittert noch dünnhäutig oder gar resignativ aus. Man könnte auch sagen: Ich verlasse das Amt gesund, obwohl ich als kranker Mann gehe.

Als Vorsitzender der Kammer für Migration und Integration der Evangelischen Kirche in Deutschland haben Sie mit Ihren Statements unweigerlich auch politische Fragen berührt. Was ist Ihre Antwort auf die alte Streitfrage, wie politisch Kirche sein darf oder muss?

Mir ist als Student die fünfte These der Barmer Theologischen Erklärung nahe gerückt: „Die Kirche erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten.“ Wir haben nicht die höhere Einsicht in die Migrations- oder Klimapolitik, aber wir haben zu erinnern an Gottes Recht und Gerechtigkeit. Wir sind nicht deswegen für Klimaschutz, weil wir ein Ableger von Rot-Grün wären, sondern weil wir uns zu Gott, dem Schöpfer, bekennen und Verantwortung für seine Schöpfung haben. Das ist der Unterschied. Weil ich selbst immer politisch interessiert war, bin ich 1982 auch Mitglied der SPD geworden. Gerade mit diesem Schritt wollte ich aber bewusst mein parteipolitisches Engagement von meinem Pfarramt trennen. Christen können und sollen sich auch in die Parteipolitik einbringen, aber ich als Pfarrer mache keine Parteipolitik. Etwa zehn Jahre später, als die SPD mit der CDU darum wetteiferte, wer das Asylrecht am gründlichsten entschärfen kann, habe ich die Partei wieder verlassen.

Hat aus Ihrer Sicht Kirche noch die Kraft, bei den wachsenden gesellschaftlichen Rissen verbindend zu wirken?

Wenn Menschen eine andere Position als wir vertreten, aber grundsätzlich noch ansprechbar sind, ist mir wichtig, dass wir sie als Gesprächspartner nicht verlieren. In Köln habe ich mal an einer Veranstaltung zur Braunkohle teilgenommen, in der auch die Mitarbeiter von Rheinbraun saßen. Einfacher darf man es sich auch nicht machen. Ich muss den Menschen schon ins Gesicht gucken und dann meine Haltung zum Klimaschutz formulieren. Für das Schaffen solcher Diskussionsforen könnten wir als Kirche noch mehr tun.

Man kann Kirche verstehen als die Gemeinschaft von Glaubenden oder als Institution und Behörde. Was ist für Sie der Kern von Kirche?

Kirche sind für mich Menschen, die sich vom Geist Gottes bewegen lassen und sich dadurch in Bewegung setzen. Und die Bereitschaft dazu muss in der Institution Kirche größer werden. Da können uns die Landeskirchen im Osten als Agenten des Wandels ein Beispiel sein.

Und wo sehen Sie dabei künftig Ihren Platz?

Darüber habe ich noch nicht intensiv nachgedacht. Dieser Abschnitt ist erst einmal am 20. März vorbei. Und wenn ich an diesen Tag denke, stellt sich bei mir schon jetzt ein Gefühl der Erleichterung ein, dass ab dann das Pflichtprogramm entfällt. Als pensionierter Pfarrer muss ich nichts, darf aber alles. Ich habe mal vorsichtig in meiner Wuppertaler Ortsgemeinde nachgefragt und werde dort vertretungsweise Gottesdienste übernehmen. Außerdem werde ich mir überlegen, wo und wie ich mich parktisch-diakonisch einbringen kann. Wort und Tat gehörten für mich als Gemeindepfarrer immer zusammen. Das ist in den Jahren als Superintendent und Präses ein bisschen auf der Strecke geblieben.

Zur Person
Manfred Rekowski ist seit März 2013 Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland. Der 62-jährige Theologe wurde in Masuren in Polen geboren. Als er fünf Jahre alt war, verließ seine Familie ihren Bauernhof und siedelte in die Bundesrepublik über. Rekowski hat in Bethel, Marburg, Bochum und Wuppertal Theologie studiert. 1986 wurde er Pfarrer in Wuppertal. Im März  tritt Rekowski nach acht Jahren im Amt des Präses in den Ruhestand.

Interview: Ekkehard Rüger

 

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