Ubaidullo Norisow ist zwölf und arbeitet auf dem Kelechek Markt in Bishkek. Er sammelt Tag für Tag Pappe und Papier auf dem Großmarkt, um das Familieneinkommen zu sichern. Im digitalen Konfirmandenunterricht wird seine Geschichte virtuell deutlich. Foto: Brot für die Welt / Kathrin Harms

Konfirmandenunterricht: Digital hoch zwei

von Anna Neumann

07.05.2021

Die Zeit ist um. Aber da meldet sich noch einer: „Ich hab noch eine ganz andere Frage.“ Er sei mit seinem Longboard gegen einen Bordstein gekracht. Jetzt hat es einen Riss.


Ob jemand einen Tipp hat, was er tun kann? „Probiers mal mit Holzleim“, meint ein Mitkonfirmand. Ein anderer, echt besorgt: „Mann, was ist Dir denn passiert? Wieso fährst du irgendwo gegen?“

Eineinhalb Stunden Konfirmandenunterricht per Zoom sind um für die Konfigruppe in Hennef. Wegen Corona haben sich die Mädchen und Jungen bereits seit drei Monaten nicht mehr persönlich getroffen. Kann das funktionieren, sich nur digital auf die Konfirmation vorzubereiten? Über den Glauben reden und als Gruppe zusammenbleiben? Teilnehmen und Anteilnehmen? Einfach nur einmal die Woche anderthalb Stunden vor Computer, Tablet oder Smartphone hocken, eine Videokonferenz absolvieren so wie andere eine Firmenfusion durchdeklinieren?

Tulpe, Schildkröte, Muschel

Drei Minuten Zeit – die Stoppuhr läuft! Jede und jeder soll ein „schönes Naturprodukt“ ranholen. Und so erscheinen die Jugendlichen in nullkommanichts in neuer Begleitung vor ihren Kameras: Eine hat eine Tulpe mitgebracht. Einer seine Schildkröte. Eine führt eine Muschel vor. So einfach, so aktivierend – der Einstieg in das Thema Schöpfungsgeschichte ist vollbracht.

Weiter geht’s in zwei getrennten virtuellen Räumen: Die Konfis lesen und besprechen je einen der beiden biblischen Schöpfungsberichte. Später, wieder im Plenum, wird es darum gehen, die beiden verschiedenen Berichte zueinander zu bringen.

Landschaft im Fenster

Kirche kommt zu dir. Teamer und Konfis – alle sehen einander auf den Kacheln, sehen in ihre Zuhauses. Viele Jugendliche haben ihre Wände mit Fotos dekoriert. Die Sonne scheint tief in die Jugendzimmer. „Wo bist Du eigentlich?“, fragt Pfarrer Dr. Stefan Heinemann unvermittelt einen Jungen. Im Auto, auf dem Rückweg vom Arzt, wegen eines Staus zu spät dran, beichtet er – und kriegt ein Lob dafür, dass er sich von unterwegs mit dem Handy zugeschaltet hat. Hinter ihm rast Landschaft durchs Autofenster.

Warum gibt es zwei Berichte, ist doch irgendwie komisch, oder? Mag sein, aber im Moment sind alle maulfaul. „Wie immer, wenn sich keiner meldet, nehme ich Freiwillige dran“, erklärt der Pfarrer. Humor hilft natürlich, die Erkenntnis ist flugs gewonnen: Es gibt nicht eine einzige richtige Geschichte. Aber feststeht: Gott hat die Welt erschaffen.

Gottes Liebe zur Welt

Gott? Echt jetzt? Noch einmal wechseln die Jugendlichen in die Breakout Rooms, die getrennten Videokonferenzen, in denen sie mit den Teamerinnen das Thema vertiefen. Was haben sie in Physik und Biologie über die Entstehung der Welt gelernt? Urknall und Evolution.

„Beweise gibt es wohl eher für die naturwissenschaftliche Version“, meint ein Mädchen. Die Diskussion läuft darauf hinaus: Die Bibel vermittelt eher die Schönheit und den Sinn der Welt, Gottes Liebe zur Welt. Da hebt der Junge nochmal seine Schildkröte in seine Kamera.

Vielfältige Methoden

Digitaler Konfiunterricht wie aus dem Lehrbuch: Aktivierungen, beispielsweise mit Umfrage-Tools. Ein Video einspielen. „Schreibtisch teilen“, so dass alle ein Foto, einen Bibeltext, ein Arbeitspapier sehen. Vertiefende Gespräche in Breakout-Rooms statt in Stuhlkreisen führen. Gedanken auf einer digitalen Pinnwand, etwa einem Padlet festhalten. Soweit, so sinnvoll.

Online only? Das können sich Pfarrer und Teamerinnen keinesfalls vorstellen. Zu diesem Zeitpunkt erscheint offen, ob der Lockdown noch vor dem Konfirmationstermin enden wird. Untereinander diskutieren sie, wieviel Präsenz noch möglich und nötig ist. Drei Treffen sind das „absolute Minimum“, findet die erfahrenste der Teamerinnen.

Virtuelle Weltreise

Statt Handy- (weil Ablenkungs-) Verbot gibt’s zwei Wochen später Phone-Pflicht: „Heute gehen wir auf Weltreise“, begrüßt Pfarrer Heinemann die Konfis. In Kleingruppen teilen sie sich auf – nach Nicaragua, nach Ecuador, nach Bangladesh, in die Kirgisische Republik, sogar in die Antarktis. Digitales Fliegen als Privileg in der Pandemie.

 

Auch Schwester Gulmairam (14) arbeitet auf dem Großmarkt mit. Foto Kathrin Harms / Brot für die Welt

Ratefragen beantworten, Punkte sammeln

Möglich macht das die mit einem eLearning-Award ausgezeichnete Lern-App „Action Bound“. „Brot für die Welt“ bietet hier virtuelle Projektbesuche. Beeindruckende Fotos und kurze, prägnante Texte. Hinzukommen Ratefragen, Wissen bringt Punkte ein, so viel „Action“ muss sein.

Digital hoch zwei: Die Konfigruppe, die Kirgistan gewählt hat, erfährt von einem Geschwisterpaar, das zu Kinderarbeit verdammt ist. Während sich die Konfis durch die App klicken, debattieren sie parallel bei Zoom. Deutlich wird: Eltern müssten einen ordentlichen Lohn erhalten, damit die Kids zur Schule gehen können, um eine gute Zukunft zu haben. Der Teufelskreis der Armut.

13- und 14-Jährige hierzulande wissen schon viel über Ungerechtigkeit in der Welt. „Mir war bewusst, dass in vielen Ländern Kinder Familien ernähren“, meint ein Konfirmand, die hohe Zahl habe ihn allerdings erstaunt. Einem Mädchen geht es genauso: „Ich hätte nicht gedacht, dass es so viele sind.“

 

Erst im Day Center, das von Brot-für-die-Welt-Partner Centre for the Protection of Children unterstützt wird, öffnet sich für die Kinderarbeiter eine andere Welt: Unterricht, ärztliche und psychologische Betreuung, ein Essen, ein wenig Freizeit. Foto: Kathrin Harms / Brot für die Welt
Ubaidullo Norisow und Gulmairam Tadibai machen Hausaufgaben daheim. Foto: Kathrin Harms / Brot für die Welt
Jungen, die vom Brot-für-die-Welt-Partner "Centre for the Protection of Children" (CPC) unterstützt werden, spielen Fußball. Wie Ubaidullo arbeiten die meisten, um das Familieneinkommen zu verdienen. Foto: Kathrin Harms / Brot für die Welt

Ein Riss, ein Glück , ein Mitgefühl

Der Hennefer Konfirmand mit dem beschädigten Longboard erzählt am Ende noch, dass er einem Auto hatte ausweichen müssen und dabei die Kontrolle verlor. Und dann hält er das Board in seine Kamera. Ihm selbst ist nichts weiter passiert. Was für ein Glück, denn der Riss – ein Mit-Konfi schaltet sich ein – „der ist echt ordentlich“.

 

Links

zu Brot für die Welt und zur Evangelischen Kirchengemeinde Hennef

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Stichwort Konfirmation und dann noch ein Link zum PROtestant, wo diese Reportage auch erschien