Jubiläum 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland – Wie eine Verwaltungsanfrage Geschichte schreibt

von Anna Neumann

17.03.2021

EIN BEITRAG VON PFARRERIN IRINA SOLMECKE-MAYER


Es war das Jahr 321, als der Stadtrat der Colonia Claudia Ara Agrippinensium, also der Stadtrat Kölns, eine Anfrage an den Kaiser Konstantin in Rom richtete. Für öffentliche Ämter wollte man auch jüdische Mitbürger verpflichten können und bat diesbezüglich um Auskunft. Bisher waren sie von der Berufung und Amtsausübung befreit, auch aus Rücksicht auf ihre religiösen Grundsätze. Ob diese Befreiung nur Privileg oder auch Benachteiligung bedeutete, entschied sich vermutlich im Detail alltäglichen Lebens. Jedenfalls versprach die Beteiligung jüdischer Bürger am Stadtrat einerseits Entlastung für die bis dahin führenden Kölner Familien, belegt aber andererseits auch die Anerkennung der jüdischen Bürgerschaft als gleichwertigen und wichtigen Bestandteil der städtischen Gesellschaft: Man lebte zusammen, man kannte und schätzte sich, man sollte und wollte Rechte und Pflichten gleichermaßen teilen.

Die Antwort auf die Verwaltungsanfrage aus Köln ließ nicht lange auf sich warten: Am 11. Dezember 321 erließ der Kaiser ein für das gesamte römische Reich geltendes Gesetz. Darin heißt es unter anderem: „Durch reichsweit gültiges Gesetz erlauben wir allen Stadträten, dass Juden in den Stadtrat berufen werden.“1

Ein Gesetz von besonderer Bedeutung

Dieses Dekret, dessen Abschrift im Codex Thedosianus aus dem 5. Jahrhundert heute im Vatikan aufbewahrt wird, gilt als frühestes schriftliches Zeugnis für jüdisches Leben nördlich der Alpen. Ein Datum also von besonderem Gewicht: Im Jahr 2021 schauen wir auf 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland zurück – wohl wissend, dass vor einem solchen Dekret schon länger Menschen jüdischen Glaubens in Städten und Ortschaften Fuß gefasst haben müssen. Aber Jubiläen brauchen belegbare Daten, und so ist 2021 zum Festjahr ausgerufen worden, das unter Schirmherrschaft des Bundespräsidenten bundesweit mit zahlreichen kulturellen Veranstaltungen und Projekten zur Begegnung gefeiert wird.

Ein Grund zum Feiern

So fährt in Köln seit letztem Jahr auf mehreren Linien eine Bahn der KVB, beklebt mit einem fröhlichen „Schalömchen Köln“ und den Hinweisen auf  das Jubiläum. Die EKD hat in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bischofskonferenz und mit der Wertschätzung des Zentralrates der Juden in Deutschland eine Plakataktion initiiert. Unter dem Hashtag #beziehungsweise: jüdisch und christlich – näher als du denkst wird monatlich auf Gemeinsamkeiten und auch Unterschiede der beiden Religionen hingewiesen, werden verwandte Fest- und Feiertage erklärt und ihr Zusammenhang erklärt. Auch in Gemeinden sind diese Plakate zu finden.

Das MiQua LVR-Jüdisches Museum Köln wird eine Ausstellung organisieren zu „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“, ebenso wie eine Wanderausstellung durch verschiedene Kommunen in NRW.

Der Verein 2021 JLID (Jüdisches Leben in Deutschland) stellt auf der Website Videos des jüdischen Puppentheaters Bubales (= Puppen) ein und informative Podcasts. Es wird ein kulturelles Festival „Mentsh“ geben, Konzerte, Videoprojekte und vieles mehr. Und vom 20. bis 27. September 2021 soll das weltgrößte Laubhüttenfest „Sukkot XXL“ auf Einladung von 105 Gemeinden stattfinden. Dabei erinnert Sukkot an die Zeit der Wanderung in der Wüste und verbindet dies mit dem Dank für die ersten Früchte der Ernte.

Geschichte und gelebte Gegenwart

Mit all dem und vielem mehr, was vor Ort an Begegnungen und Veranstaltungen geplant ist – und hoffentlich stattfinden kann auch unter veränderten Bedingungen im Corona-Modus – sollen die Vielfalt und der Reichtum, auch die prägende Kraft jüdischen Lebens in Deutschland in den Blick kommen. Es geht um das Leben und Zusammenleben im Alltag, die Selbstverständlichkeit, mit der Jüdinnen und Juden seit mehr als 1.700 Jahren Teil der Gesellschaft und der Geschichte Deutschland sind. Die zu dieser Geschichte gehörenden Akte und Erfahrungen von Ausgrenzung, Vertreibung und Ermordung werden nicht verschwiegen. Aber der Focus liegt 2021 auf dem Leben, das war und weiter ist: Jüdisches Leben in Deutschland soll in seiner modernen und bunten Vielfalt sichtbar und erlebbar werden. Stereotypen sollen hinterfragt, Unwissen und Vorurteile abgebaut werden. Das Fremde soll vertrauter, das Besondere und das Gemeinsame wert geschätzt werden. Damit wir spüren, dass wir zusammengehören in aller Verschiedenheit. Damit wir unseren Zusammenhalt stärken und schützen. Und dem Antisemitismus und jeder Form von Spaltung etwas entgegenzusetzen haben. Denn wir teilen eine gemeinsame Geschichte. Mehr als 1.700 Jahre. Ein guter Grund zu feiern!

1 Zitiert nach: Das Dekret von 321: Köln, der Kaiser und die jüdische Geschichte.
Hg. von MiQua. LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier Köln. S. 9

 

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