EU-Asylkompromiss hebelt faire Asylverfahren an EU-Außengrenzen aus
von Anna Neumann
09.06.2023
Gerade die Belange und Rechte von Familien mit zum großen Teil traumatisierten Kindern müssen gewahrt bleiben, mahnen Diakonie und Brot für die Welt. Zudem dürfe die EU ihre Schutzverantwortung nicht an Drittstaaten delegieren.
„Menschenrechtliches Armutszeugnis“
Dagmar Pruin, Präsidentin von Brot für die Welt: „Der Kompromiss für eine EU-Asylreform ist kein historischer Erfolg, sondern ein historischer Bruch des Flüchtlingsschutzes. Künftig werden nur wenige Menschen das Recht und die Chance haben, in der Europäischen Union Asyl zu beantragen. Durch die Ausweitung des Sicheren Drittstaatsprinzips können sich Mitgliedsstaaten ihrer Schutzverpflichtung zukünftig entziehen. Trotz aller Anstrengungen für einen gemeinsamen europäischen Kompromiss ist dieses Ergebnis ein menschenrechtliches Armutszeugnis. Das EU-Parlament muss diesen Weg dringend korrigieren.“
Die Sichere Drittstaatenregelung sieht eine Zulässigkeitsprüfung vor, durch welche Anträge abgelehnt werden können, wenn Geflüchtete über einen sogenannten sicheren Drittstaat in die EU eingereist sind. Sie ermöglicht eine Abschiebung in diesen Drittstaat mit dem Verweis, dass auch dort Schutz bestehe. Pruin: „Die Realität ist jedoch, dass viele Menschen dort nicht sicher sind und auch aus diesen Ländern weiter abgeschoben werden. Mit der beschlossenen Aufweichung der Kriterien für sichere Drittsaaten würde Europa einen tiefen Burggraben um die Außengrenzen ziehen.“
„Fatales Signal“
Diakonie Präsident Ulrich Lilie: „Dass die EU-Innenministerinnen und -minister am Tag nach dem Asyl-Kompromiss an die Einhaltung der Menschenrechte erinnert werden müssen, ist ein fatales Signal – nicht nur für die Schutzsuchenden, sondern für alle Menschen in der EU. Nun ist es am Europäischen Parlament, diesen faulen Kompromiss auf Kosten der Schwächsten zu korrigieren.“ Die Vorstellung, dass künftig auch Familien mit Kindern in Lagern an den Außengrenzen inhaftiert werden könnten, sei unerträglich. „Ebenso die Aussicht, dass schutzbedürftigen Menschen faire und sorgfältige Asylverfahren verwehrt würden. Eine humanitäre und an den Prinzipien der Menschenrechte orientierte Asylpolitik ist eine tragende Säule der europäischen Erzählung. Stürzt diese Säule ein, werden wir international als Anwalt von Menschenrechten zurecht belächelt werden.“
Die Diakonie steht mit vielen anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen schon seit langem für den Flüchtlingsschutz und für eine menschenwürdige Aufnahme in der EU. Lilie: „Stattdessen soll das Prinzip der Ersteinreise verschärft werden und sollen sich Staaten künftig vom Flüchtlingsschutz freikaufen können. Mit ihrem Kompromiss bereiten die EU-Innenminister den Boden für Rechtlosigkeit und Verelendung von Schutzsuchenden. Nun ist es an der Volksvertretung der Europäer, diesen Kurswechsel zu stoppen.“
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Im Vorfeld der Tagung der EU-Innenminister*innen hatten sich Kirche und Diakonie für den Flüchtlingsschutz stark gemacht