Im Gespräch mit Gemeindemitgliedern: Jörg Lange (am Mikro), links neben ihm Pfarrerin Britta Beuscher.

Die Hoffnung aufrecht erhalten

von Anna Neumann

12.10.2023

„Die Hoffnung ist manchmal schwer aufrecht zu erhalten“, sagt Jörg Lange. Doch er habe sie bis zuletzt nicht verloren. Vier Jahre und acht Monate war er in Afrika entführt, zumeist von IS-Terroristen


„Ich danke der Gemeinde für die Gebete und die Unterstützung meiner Kinder“, sagte Lange am Sonntag in einem Gespräch mit Mitgliedern der Evangelischen Kirchengemeinde Bad Honnef. Er ist ja einer der Ihren. Seine Geschichte stand schon im „Spiegel“ und im Honnefer Gemeindebrief „Angebote“. Jetzt beantwortete Lange geduldig alle Fragen. Rund hundert Menschen hatten sich im Gemeindehaus um ihn geschart.

Im September 2017 war der Entwicklungshelfer aus Bad Honnef in den Niger ausgereist, beauftragt von der Bonner Hilfsorganisation „help – Hilfe zur Selbsthilfe“. In einem der ärmsten Länder der Welt wollte er sich als Landesdirektor vor allem um Hilfe für Kinder kümmern. Als er im April 2018 ins Grenzgebiet nach Mali fuhr, um Projekte angesichts der dortigen Flüchtlingswelle zu planen, wurde er überfallen. Seine Entführer verschleppten ihnen per Motorrad. Er sei „halbtot“ in der Savanne angekommen. Dort war der Hitze ausgesetzt. Nachdem ihn seine Entführer im Januar 2020 in der Sahara versteckten, litt er nachts unter Frost.

Furchtbare Verschleppungen

Die Umstände waren schwer, macht Lange deutlich. „Die vielen Verschleppungen waren furchtbar.“ Schließlich rasten die Entführer auch immer wieder weiter, um unentdeckt zu bleiben. Jörg Lange war bedroht von giftigen Schlangen, wurde mehrfach von Skorpionen gestochen, bekam kaum zu essen. Nachts musste er auf einer Matte unter Bäumen schlafen. Immer ging es seinen Kidnappern darum, nicht von Drohnen oder Flugzeugen entdeckt zu werden.

Jörg Lange erkrankte mehrmals, das schlimmste war die Malaria Tropica. Da habe er mit dem Leben schon abgeschlossen, als endlich Hilfe kam in Person eines IS-Kämpfers. „Mit seiner rechten Hand holte er einen Beutel mit Infusionslösung aus dem Arztkoffer, an der linken Seite hing eine Kalaschnikow über seine Schulter.“

Keine Chance zu fliehen

Gab es nie die Chance zu einer Flucht? Wurde in all den Jahren nicht versucht, ihn zu befreien? Auch das fragen Gemeindeglieder. Eine Befreiung hätte er nicht überlebt. „Die erste Kugel trifft dich“, hatte ihm einer seiner Entführer eingeschärft. Eine Flucht war zu allermeist unmöglich, weil die Kämpfer die Region beherrschen: „Ich wäre nicht weit gekommen.“ Tatsächlich musste Lange einmal erleben, wie ein französischer Helikopter ihn hätte retten können, aber abdrehte. Ein wirklich bitterer Moment.

Erst im Dezember 2022 kam Jörg Lange frei. „Wie kommen Sie heute klar“, will ein Gemeindemitglied wissen. Insgesamt „sehr gut“, antwortet Jörg Lange. Direkt nach der Rückkehr war er besonders euphorisch, vor allem „weil ich die Kinder, Freunde und meinen Bruder wiedersehen konnte“. Darein mischten sich harmlose Situationen, die ihn aber erschraken. Das bloße Geräusch eines Hubschraubers ließ ihn zusammenzucken: „Jetzt greifen sie an.“ Dem Rat, sich psychologische Hilfe zu holen, folgte er. Der Psychiater habe ihn schon bald als „ressourcenstark“ bezeichnet.

Auch die Bibel schildert Verlassenheit

Die Hoffnung – „man hat sie oder nicht“, hat Jörg Lange erfahren. Sie sei eine Gabe oder ein Geschenk. Dass einige Male Videos von ihm gemacht wurden, um zu beweisen, dass er lebt, waren für ihn Zeichen von Verhandlungen. „Das gab Hoffnung.“ Gerettet habe ihn, dass er ein Radio, die Bibel und eine Armbanduhr haben durfte.

Ob er in der Bibel ganz bestimmte Teile gelesen und ob die Bibel ihn getragen hat, möchte ein Mann wissen. In Momenten tiefster Depression habe er die Klagelieder des Jeremias gelesen. Und Psalm 22. So behielt er vor Augen, dass Verlassenheit und Ausgeliefertsein zum Leben gehören. Natürlich hat Jörg Lange auch seine „Lieblingsstellen“ gelesen – die Weihnachtsgeschichte zum Beispiel. Hoffnung machte ihm auch Psalm 139. „Ich habe ihn mir immer wieder auswendig aufgesagt.“

„Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir“, heißt es im fünften Vers von Psalm 139. Genau diesen Vers hatten sich die Eltern einer Neugeborenen als Taufspruch ausgewählt – die Taufe hatte die Gemeinde an diesem Morgen vor dem Gespräch mit Jörg Lange in ihrem Sonntagsgottesdienst in der Erlöserkirche gefeiert.

Hass empfindet er nicht

Er scheine keinen Hass zu empfinden, hakt einer im Gespräch nach. „Ja, das ist richtig“, bestätigt Lange. Er sei letztlich „Handelsware“ gewesen. Ein weißer Mann, für den Geld erpresst werden sollte. „Ist denn Lösegeld bezahlt worden“, fragt eine Frau. Danach habe er in Deutschland gefragt, aber keine Antwort erhalten, erklärt Jörg Lange.

Gemeindepfarrerin Britta Beuscher dankt zum Schluss für das Gespräch und sagt Jörg Lange: „Wir freuen uns, dass Sie wieder da sind und wünschen Ihnen, dass Ihr Leben gut weitergeht und Sie glücklich sind.“

Links

zu den Websites von „help“ und der Honnefer Kirchengemeinde