
Besuch bei Freunden – in einem zerrissenen Land
von Anna Neumann
31.10.2024
Der Geschäftsführer des Evangelischen Jugendwerks Sieg • Rhein • Bonn berichtet live aus einem Land, das kurz vor den Präsidentschaftswahlen in größter Anspannung steckt.
Die US-Präsidentschaftswahlen stehen unmittelbar bevor – welchen Eindruck haben die USA auf Dich gemacht?
Das Land ist aus meiner Sicht unheimlich unter Spannung. Es gibt die beiden Lager rund um Kamala Harris und Donald Trump, allerdings auch eine große Zahl an Menschen, die sich politisch von keinen der beiden Parteien abgeholt fühlen. Gleichzeitig ist es ein Wahlkampf der Ressourcen (kein Wahlkampf hat vorher mehr Geld gekostet) und der Desinformationen (es sind so viele Fake-Nachrichten unterwegs). Für mich wurde die Wahlwerbung der letzten eineinhalb Monate gesammelt, ich habe sie mir angeschaut: Darin geht es wenig um das eigene Programm und die eigene Vision, sondern vorrangig um die Diskreditierung der Vorhaben der/des anderen. Das ist schon sehr schräg aus unserer Sicht. Es ist Politik unter der Gürtellinie und eine Politik, die nicht vom gegenseitigen Respekt geprägt ist.
Warst Du in einem zerrissenen Land?
Ich denke schon. Anders als in Deutschland, positionieren sich die Menschen in den USA ganz klar. Während bei uns über die eigene Stimmabgabe geschwiegen wird, zeigt in den USA fast jede*r seine Position anhand von Caps, T-Shirts oder kleinen und großen Plakaten und Aufstellern im Vorgarten. Und so leben Republikaner*innen und Demokrat*innen Haus an Haus. Anders als in Deutschland gibt es in den USA eigentlich nur diese beiden Parteien. Damit entstehen aus meiner Sicht zwei deutliche Pole, die unterschiedlicher nicht sein können. Zwischen Schwarz und Weiß gibt es allerdings wenig graues Spektrum in den USA. Dies zerreißt aus meiner Sicht das Land.
Kannst Du abschätzen, wie die Wahl ausgehen wird?
Das wird eine verdammt enge Wahl und viele prognostizieren, dass nach dem 5. November, dem Tag der Wahl, nicht direkt ein Ergebnis vorliegen wird. In einigen Bundesstaaten ist es so knapp, dass bis zur letzten Stimme ausgezählt werden muss. Ich hoffe auf eine sehr hohe Wahlbeteiligung, die den Willen des Volkes wiederspiegelt. Das Gut, demokratisch an Wahlen partizipieren zu dürfen, ist eines, welches wir/man nicht einfach leichtsinnig verwerfen sollten. Sollte Trump die Wahl gewinnen und seine Ideen umsetzen, erlebt die USA eine Politik der Ausgrenzung, sozialen Ungleichheit und der Hetze. Sollte Kamela Harris gewinnen, glauben viele, dass der Sturm auf das Capitol vom 6. Januar 2021 sich in einem viel größeren Maße wiederholen könnte. Diese Wahl spaltet dieses Land jetzt schon und wird es nach der Wahl noch weiter spalten.
Denkst Du, das wirkt sich auf den Rest der Welt aus?
Die USA ist in unserer globalisierten Welt ein wichtiger Player. In der NATO, der UNO, in den Beziehungen zu Europa ist die USA nicht wegzudenken. Die USA hat einen großen Einfluss auf die Geschicke dieser Welt, die Sicherung des Friedens auf unserem Planeten, sie ist ein großes Puzzlestück in Sachen Klimaschutz. Wir haben in Deutschland und vielen Nachbarländern einen Ruck zu rechter und populistischer Politik erlebt. Die USA könnte als Nation ein wichtiger Gradmesser sein, welche Art von Politik die nächsten Jahre unsere Welt prägen werden.
Was sagt die Partnerkirche UCC?
Sie schaut – wie wir – sehr kritisch auf den Wahlkampf. Sie schaut vor allem sehr kritisch auf die Aussagen und die Visionen von Donald Trump, welche aus ihrer Sicht nicht den christlichen Werten entspricht. Und sie schaut natürlich auch sehr kritisch auf die sehr vielen Anhänger aus christlichen Kreisen, die Trump befürworten. Wir erleben Menschen, die in Donald Trump den Heilsbringer und Erlöser der USA sehen und ihn als Messias und Auserwählter Gottes (der sogar einen Anschlag überlebt hat) anbeten. Diese Vermischung von christlichen Aspekten und Politik ist gruselig. Die Predigten von Trump-Sympathisanten sind voller Hass und Hetze und nicht mit den Werten des Christentums zu vereinbaren.
Aber ja: Auch in der UCC gibt es mitten in ihren Kirchengemeinden Menschen, die Trump befürworten. Hier werden Gespräche gesucht, Argumentationshilfen geliefert und an die demokratischen Grundsätze erinnert. Ob es die Menschen umstimmt, weiß ich nicht.
Wäre die Wahl von Trump eine Bedrohung?
Für das Land selbst wird die Wahl von Donald Trump nur zu mehr Spaltung führen. Er verantwortet eine Politik der Ungleichheit und der Ausgrenzung. Importzölle, Massenabschiebungen, Rückkehr zu fossilen Brennstoffen und seine Haltung zur NATO werden auch andere Länder – Europa und uns – beeinflussen.
Wo und wozu warst Du unterwegs?
Ich war zusammen mit einer jungen Delegation der Evangelischen Kirche im Rheinland zu Gast bei der UCC im Bundesstaat Wisconsin. Wir haben uns dort mit Vertreter*innen der United Church of Christ getroffen und uns zum Thema „White Christian Nationalism“ ausgetauscht. Dabei ging es um die politischen Systeme in Deutschland und den USA, die Rolle der Kirche in beiden Ländern sowie rechte Bewegungen in der Politik und der Religion. Ein Thema, das also beide Länder betrifft. Wir waren zuerst zwei im Raum Milwaukee in Gastfamilien untergebracht, haben am Sonntag jeweils unterschiedliche Gottesdienste besucht und dort die besten Grüße aus dem Rheinland überbracht. Am Montag sind wir dann ins Daycholah Center an den Greenlake in Wisconsin gefahren und haben uns dort bis Samstag rund um das Thema „White Christian Nationalism“ ausgetauscht und eine gemeinsame Deklaration erstellt und verabschiedet. Dazu haben wir zudem mit einem Aussteiger aus der rechten Szene gesprochen und waren im Black Holocaust Museum. Am Samstag waren wir dann noch in Chicago, bevor unser Flug uns in der Nacht zurückgebracht hat.

Links
Website der UCC und des Jugendwerks