Gedenken anlässlich der Reichspogromnacht
von Anna Neumann
08.11.2020
Fast eineinhalbtausend Synagogen und Versammlungsräume sowie tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe wurden zerstört. Drei Jahre später begann der Holocaust. Den 9. November 1938 jährlich zu erinnern und nicht zu vergessen, ist eine bleibende Verpflichtung für Menschen in Deutschland – gerade für christliche Kirchengemeinden.
Pfarrer Sebastian Schmidt, Synodalbeauftragter für den christlich-jüdischen Dialog im Kirchenkreis An Sieg und Rhein: „Das nationalsozialistische Regime initiierte schreckliche und barbarische Pogrome gegen jüdische Religionsstätten, jüdische Geschäfte, Menschen jüdischen Glaubens. Die Gewalt jener Ereignisse ist im Rückblick nicht vorstellbar – und wir wissen leider alle darum, dass diese in viel größere Gewalt und in größte Grausamkeit mündete. Es waren deutsche Menschen, die hier Grausames und Unmenschliches taten – sicher hielten sich einige von ihnen für gute Christen. Unvorstellbar ist das.“
Königswinter, 8. November, 19 Uhr
Auch in diesem Jahr werden sich die evangelischen und katholischen Christ*innen im Talbereich Königswinter im Gedenken an die Reichspogromnacht 1938 versammeln. Allerdings nicht – wie in den vergangenen Jahren zu Vortrag und Diskussion – sondern ausschließlich zu einer Andacht. Dazu laden die katholischen Gemeinden im Seelsorgebereich Königswinter-Tal und die Evangelische Kirchengemeinde Oberkassel Dollendorf am Sonntag, 8. November, 19 Uhr, in die Evangelische Kirche in Niederdollendorf, Friedenstraße 29.
Video-Gedenken, 9. November, 19.30 Uhr
Zum Gedenken lädt der Synodalbeauftragte am 9. November um 19.30 Uhr ein. Die Beteiligten werden dann digital auf Zoom zusammenkommen, um gemeinsam für 15 Minuten Innezuhalten. Wer teilnehmen möchte, meldet sich dazu bei Pfarrer Sebastian Schmidt per E-Mail an:
Gedenken zuhause
Wegen der Corona-Pandemie lädt die Evangelische Kirchengemeinde Siegburg lzu einem Gedenken zuhause ein. Den „Gang des Gedenkens“ sagt sie in diesem Jahr ab. Dazu verbreitet die Gemeinde diesen Gedenktext:
Zechor! Gedenke! Erinnere dich!
Es darf nicht vergessen werden, was geschah – und wieder geschehen kann.
Nicht das, was überall in Deutschland, in aller Öffentlichkeit am 9. und 10. November 1938 geschehen ist, dass Synagogen brannten, dass Torarollen, jüdische Schriften und Inventar der Synagogen herausgerissen und zu Scheiterhaufen aufgehäuft wurden und dann verbrannt, dass jüdische Geschäfte verwüstet wurden und jüdische Menschen gedemütigt, geschlagen und gefangen genommen wurden.
Zechor! Gedenke!
Auch hier in Siegburg, denn auch hier brannte die Synagoge, auch hier wurden die Scheiben der Schaufenster eingeschlagen. Und die Verhaftungswelle funktionierte „vorbildlich“ wie im ganzen Rhein-Sieg-Kreis. Der Bürgermeister war bedacht, dass niemand die Aktion störte, die Feuerwehr, dass der Brand nicht auf die Nachbargebäude überspringt, und die Polizei besorgt, dass sich die Passanten an den Scherben verletzen. Die mussten die Besitzer der Geschäfte dann beseitigen.
Zechor! Gedenke!
Diese Aufforderung aus dem jüdischen Gebetsbuch hat sich die Evangelische Kirchengemeinde Siegburg in den letzten Jahrzehnten zu eigen gemacht und mit einem „Gang des Gedenkens“ der jüdischen Mitbürger gedacht, die hier in Siegburg in der Zeit des Nationalsozialismus ihrer Würde und Rechte beraubt wurden, vertrieben wurden, noch rechtzeitig fliehen konnten oder dann in den verschiedenen Vernichtungslagern umkamen. Nur wenige Mitglieder der traditionsreichen Siegburger jüdischen Gemeinschaft haben die Shoa überlebt. Die jüdische Gemeinde Siegburg, bis ins Mittelalter nachweisbar, hörte auf zu existieren.
Zechor! Gedenke!
Im Zeichen dieser Mahnung führte der Gang vom „Platz der ehemaligen Synagoge“ zum jüdischen Friedhof an der Heinrichstraße mit Worten an beiden Plätzen.
Gedenken umfasst aber auch immer die Gegenwart. Der Blick in die Vergangenheit schärft den Blick auf das, was heute geschieht, an Hass, an Hetze, an Übergriffen gegen (scheinbar) Fremde.
In diesem Jahr holt uns die Gegenwart ganz anders ein. Zwar wäre es rechtlich möglich gewesen, den Gang des Gedenkens als polizeilich angemeldete Veranstaltung durchzuführen, aber ist es immer sinnvoll, den rechtlichen Rahmen auszuschöpfen? Im Blick auf die Pandemieentwicklung verzichtet die Kirchengemeinde in diesem Jahr schweren Herzens auf den Gang des Gedenkens als einer öffentlichen Veranstaltung und wählt diese Form, um die Erinnerung wach zu halten.
Weblinks
Wikipedia, Gemeindelink Oberkassel Dollendorf, Link Zoom-Gedenken