Symbolbild (Ausschnitt) Christopher Ott / unsplash.com

Abschiebung einer Frau und ihrer drei minderjährigen Kinder – Diakonie: „Das macht fassungslos“

von Anna Neumann

22.04.2021

Die Diakonie An Sieg und Rhein kritisiert das Vorgehen der Ausländerbehörde des Rhein-Sieg-Kreises in einem humanitären Härtefall scharf.


Eine suizidgefährdete Frau wurde in der vergangenen Nacht gegen 4 Uhr aus der LVR Klinik Bonn von der Ausländerbehörde und Polizei abgeholt. Aus einer geschlossenen Station, ihrem Bericht zufolge gefesselt. Zwei ihrer drei minderjährigen Kinder wurden aus einem Siegburger Kinderheim abgeholt, wo sie sich wegen des Klinikaufenthalts der Mutter befanden. Der älteste Sohn wurde zuhause in Hennef abgeholt, wie er berichtete in Handschellen und nicht einmal komplett angezogen. Die Familie wurde von Düsseldorf per Sammelabschiebung nach Albanien ausgeflogen. „Als Geschäftsführer der Diakonie An Sieg und Rhein macht mich der Vorgang fassungslos“, erklärte heute Mittag Patrick Ehmann.

Von „absolut unverhältnismäßiger Härte“ im Blick auf die Art der Abschiebung, insbesondere das Abholen aus einer psychiatrischen Klinik der Frau und der Minderjährigen aus einem Kinderheim spricht Michaela Teigelmeister, Leiterin der Offenen Sozialarbeit der Diakonie An Sieg und Rhein.

Diakonie-Geschäftsführer Ehmann: „Auf Grund der besonderen humanitären Umstände und der Schutzbedürftigkeit der Frau und ihrer Kinder sind die Härtefallkommission und der Petitionsausschuss des Landes NRW zu der Einschätzung gekommen, in diesem vorliegenden Einzelfall eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen zu erteilen.“ Entgegen dieser Empfehlung blieb die Ausländerbehörde bei ihrer Entscheidung, die vom Verwaltungsgericht bestätigt worden war, und lehnte die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im ausländerrechtlichen Ermessen ab.

Die Sorge um die Familie ist bei der Diakonie An Sieg und Rhein jetzt groß: Mutter und Söhne sind in Tirana ohne Unterstützung. Drei der vier wurden abgeschoben, ohne persönliche Sachen mitnehmen zu können. Der Frau war von der Ausländerbehörde ärztliche Hilfe in Albanien zugesagt worden – die gebe es nicht, erfuhr die Diakonie telefonisch von ihr. Die Diakonie berät und begleitet die Familie seit Mitte 2017. Es wurde ein fachärztliches Sachverständigengutachten zur schwerwiegenden psychischen Erkrankung der Frau vorgelegt. Ihr wurde eine Traumatisierung aufgrund massiver Gewalterfahrungen in der eigenen Familie im Heimatland sowie mit dem heute geschiedenen Ehemann attestiert. Das Gutachten bestätigt eindeutig die Glaubwürdigkeit der Frau.

Frau D. wurde von ihrem damaligen Ehemann mit dem Tod bedroht. Sie ist in ein Frauenhaus geflüchtet. Er bedrohte sie von Albanien aus weiter, reiste nach Deutschland ein, suchte sie auf, wurde von der herbeigerufenen Polizei zum Schutz der Frau und der Kinder der Wohnung verwiesen.

Die am frühen Morgen erfolgte Abschiebung nach Albanien, wo der ehemalige Mann lebt, bedeutet also eine „ganz erhebliche Gefährdungslage für Frau D. und ihre drei Kinder“, unterstreicht Ehmann. Insbesondere befürchtet die Diakonie eine Retraumatisierung der Mutter und ihrer Kinder.

Kritisch bewertet die Diakonie An Sieg und Rhein auch, dass die Ausländerbehörde behauptet, die Bemühungen zur Integration seien gescheitert, denn die Frau könne ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten und die schulischen Leistungen der Kinder seien zu schlecht. Dagegen wendet Ehmann ein: „Wir begleiten viele Menschen in ähnlichen schwierigen, traumatischen Lebenslagen. Da ist es selbstverständlich, dass eine Stabilisierung der Lebenslage notwendige Voraussetzung ist, um sich gesellschaftlich ,adäquat‘ zu verhalten. Die Frau ist traumatisiert, die Kinder hatten keine Stabilität zuhause. Dass unter diesen Umständen den abstrakten Vorstellungen einer Behörde über eine ,Integrationsfähigkeit‘ nicht genügt werden kann, ist nicht besonders verwunderlich.“ Gerade für solche Situationen siehe der Gesetzgeber individuelle Ausnahmesituationen vor. Konkret: Die Frau habe Deutschkurse besucht und eine Ausbildung zur Pflegehelferin antreten wollen, die ihr behördlicherseits verwehrt worden sei.

Ehmann: „Ich nehme in der Ausländerbehörde des Rhein-Sieg-Kreises eine Haltung wahr, die zeigt, dass humanitäre Gründe keine Rolle bei Entscheidungen spielen. Diese Haltung wird durch den vorliegenden Fall und in vielen weiteren Fällen deutlich.“

 

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