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Seelsorge-Reihe II – Von Schuld, Schuldgefühlen und Vergebung

von Anna Neumann

07.04.2022

Irrationale Schuldgefühle, die man nicht ausreden darf. Echte Schuld, die Menschen schwer an sich ranlassen. Vergebung, die wirkt. Darum drehte sich das zweite Zoomgespräch der Reihe #seelsorgeistda.


„Ich will eine Lanze brechen für das Thema Schuldgefühle“, so stieg Notfallseelsorger Pfarrer Albrecht Roebke in den Abend ein. Menschen, die von Katastrophen betroffen sind, reagierten mit Schuldgefühlen – für Roebke eine „normale Reaktion“, auch wenn sie für ihnen nahestehende Menschen unerträglich ist. Gib Dir bitte nicht auch noch die Schuld, liegt ihnen auf der Zunge. 

Etwa, wenn die Frau, Mitte 30, sagt: „Hätte ich mit ihm doch bloß noch einen Kaffee getrunken.“ Nachdem ihr Ehemann auf der Fahrt zur Arbeit sein Leben verloren hat, weil er mit dem Auto in einen Erdrutsch geraten ist. 

Mächtige Ohnmacht

Ein Schuldgefühl entlaste, vor allem in den ersten wenigen Wochen nach einer Katastrophe, in der Zeit des Schocks. Bloß nicht ausreden versuchen, mahnt Roebke, sondern aushalten. Denn am Anfang steht das Gefühl mächtiger Ohnmacht. Das Schuldgefühl kann die Brücke sein, Kontrolle wiederzuerlangen. 

Es geht um das für die Betroffene in diesem Moment Erträgliche, klinkte sich der Siegburger Gefängnisseelsorger Pfarrer Ralf Günther ein. Endgültigkeit und Trauer zuzulassen, bleiben aber die Aufgabe. 

Hilfreich sei es, „viele kleine Momente zu erleben, wo ich wieder Kontrolle habe“. Wo die Grunderfahrung von Selbstwirksamkeit wiederkehrt, so Roebke. 

Die Geschiche des „Nichtsmehraufdiereihekrieger“

Von Schuld und Vergebung handelte die Geschichte von Herrn L., die JVA-Seelsorger Günther ins Gespräch einbrachte, ein Inhaftierter mit Suchterkrankung, wie die allermeisten in der Siegburger Haftanstalt. Geboren in Kasachstan, gelitten unter einem gewalttätigen Vater, kam er mit 16 in Deutschland an, geriet in falsche Kreise. Eigentlich war es eine Auswanderung, für den jungen Mann aber eine Entwurzelung. Er wurde suchtkrank, „das volle Programm, mit Bandenkriminalität“. 

Ein Leben mit Aufs und Abs: Er fand einen Ausstieg, als er eine liebevolle Frau fand, machte zwei Berufsausbildungen, das Paar bekam eine Tochter. Doch dann: Als er seine  Arbeit als Versicherungskaufmann verlor, sah er nicht die Rationalisierungsmaßnahme, sondern nahm es als persönliches Versagen und wurde rückfällig. Günther: „Er wurde ein egoistischer Nichtsmehraufdiereihekrieger.“ Trennung von der Familie. Wegen Körperverletzung dann Inhaftierung. 

Vergebung wirkt

Schuldgefühle und Scham hätten ihn lange davon abgehalten, es habe Monate gedauert, bis er sie anrief. Zu seinem größten Erstaunen hätten Frau und Tochter das positiv aufgenommen, begannen ihn zu besuchen, trotz weiter Anreise. Pfarrer Günther: „Er hat sich dann gewandelt. Er hat die Vergebung gespürt. Vergebung wirkt.“ Zwar sei er nicht in die Familie zurückgekehrt, aber zur Entlassung habe es doch ein Happy End gegeben: Frau und Tochter haben ihm eine Wohnung in der Nähe besorgt.

Es sei besonders schwer, sich selbst zu verzeihen, sagte Günther, der auch ausgebildeter Suchttherapeut ist. Mit Schuld sei Scham verbunden. Und das Gefühl, das Recht verwirkt zu haben, auf andere zuzugehen. 

Für Ralf Günther gehört dies zusammen: „Ich bin Therapeut und Gott wirkt in dieser Welt.“ Gott ereigne sich im menschlichen Alltag, seine Liebe sei gegenwärtig – und lebensverändernd.

Ein Stück Weg mitgehen

Für Pfarrer Albi Roebke sind Therapie und Seelsorge Ergänzungen. Sein Part sei es, „ein Stück Weg mitzugehen“. Er selbst sehe das, was Menschen an Leid aushalten oder zum Beispiel auch an Solidarität leben, als Wirken Gottes. Ob es aber die Menschen so sehen, die er begleitet, müssten sie selbst entdecken.

Besorgt berichtete Pfarrer Günther davon, dass er zunehmend Menschen erlebt, die gar kein Gewissen haben. So habe er mit einem Gefangenen zu tun, der einen Bürger ausgeraubt, ihm das Gesicht zertrümmert und weder schlechtes Gewissen noch Mitleid habe. Was macht man denn dann? Er lenke die Gespräche auf emotionale Themen, so Günther. Als erste Schritte. Denn: „ich mache eine emotionale Nachschulung.“ 

Dritter Abend heute

Beim dritten und letzten Abend der Reihe #seelsorgeistda geht es um „tiefe Täler und die Goldene Perle“: Gesprächspartnerinnen sind die Klinikseelsorgerinnen Editha Royek und Gunhild Zimmermann. Dieses Gespräch beginnt am Donnerstag, 7. April, um 19.30 Uhr. Kurzentschlossen Interessierte mailen gern an , um die Zoom-Zugangsdaten zu erhalten.