Sechs Monate Fluthilfe – Helfen, wo Hilfe gebraucht wird

von Anna Neumann

14.01.2022

Genau ein halbes Jahr ist seit der Hochwasserkatastrophe in NRW und Rheinland-Pfalz vergangen. Während die Welt sich weiter dreht, sind die betroffenen Menschen mit dem Wiederaufbau beschäftigt.


Häuser, Wohnungen, das Leben. Mit 7,5 Millionen Euro hat die Diakonie die Menchen dabei unterstützt. Weitere 24 Millionen Euro sind fest verplant für Wiederaufbau, Seelsorge und die Begleitung durch den „Behördendschungel“.

Mit drei Transportern voller Werkzeug und Möbel sind die Mitarbeitenden der diakonischen Beschäftigungsgesellschaft WABe täglich in Stolberg bei Aachen unterwegs. Direkt nach der Flutnacht vom 14. Juli waren sie da, um den Schutt aus Häusern und Straßen zu räumen, den der Vichtbach, der mitten durch die 16.000-Einwohner-Stadt fließt, hinterlassen hat. Jetzt kommen sie, um beim Einbau von Heizungen und Böden oder beim Tapezieren und beim Aufbau von Möbeln zu helfen.

500 Heizkörper der Diakonie Katastrophenhilfe Rheinland-Westfalen-Lippe seien verteilt und eine 600 Quadratmeter große Halle voller gespendeter Möbel und Kleider fast leer geräumt worden, erzählt Geschäftsführer Peter Brendel. Seit über zwanzig Jahren ist die Aachener Beschäftigungsgesellschaft mit ihren Projekten für langzeitarbeitslose Menschen in Stolberg aktiv. Fast dreißig von ihnen sind in vier Sozialkaufhäusern beschäftigt. Drei der Häuser mussten nach der Flutkatastrophe geschlossen werden. „Nun sind unsere Mitarbeitenden mobil unterwegs, um den Menschen hier in Stolberg zu helfen.“

Bei rund 10.000 Einwohnern hat das Hochwasser zum Teil gravierende Schäden in ihren Häusern und Wohnungen hinterlassen. Staatliche Hilfs- oder Versicherungsgelder seien bislang nur spärlich geflossen, erzählt Peter Brendel. Umso mehr sind die Menschen auf die praktische Hilfe der Diakonie und auf Möbel- und Kleiderspenden angewiesen. „Und jetzt bitten immer mehr Stolberger um Hilfe, bei denen die Feuchtigkeit vom Erdgeschoß in die zweite und dritte Etage zieht und Schimmel verursacht.“

Herzstück der Hilfsaktion: mobile Teams

So wie in Stolberg geht es vielen Menschen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. In neun Regionen ist die Diakonie daher mit mobilen Teams aktiv, um den betroffenen Menschen zu helfen, Anträge für staatliche Hilfen zu stellen und mit Spendengeldern zu unterstützen. Die insgesamt 60 Mitarbeitenden der Teams besuchen täglich verschiedene Orte. Mit dabei sind Seelsorger der Evangelischen Kirche im Rheinland, die ein offenes Ohr für alle Nöte haben – auch die nicht-materiellen. So gehört u.a. der bisherige Aegidienberger Gemeindepfarrer Stefan Bergner zu den Teams; er ist an der Ahr unterwegs.

Rund 7,5 Millionen Euro sind bislang von der Diakonie Katastrophenhilfe und der Diakonie RWL als unbürokratisch ausgegebene Soforthilfen und Haushaltsbeihilfen ausgezahlt worden. Es wurden Bautrockner und mobile Heizgeräte verteilt. Für weitere Hilfsprojekte sind bereits rund 24 Millionen Euro fest verplant. Der größte Teil der Spenden wird in den Wiederaufbau fließen, aktuell sind dafür mindestens 15 Millionen Euro vorgesehen.

Unterwegs in „vergessenen“ Regionen

Dass bislang noch nicht mehr Spendengelder direkt bei den Betroffenen angekommen sind, hat mehrere Gründe. Einer hat mit der deutschen Bürokratie zu tun. Erst muss geklärt werden, wie viel Geld Staat und Versicherungen zahlen, bevor die Wiederaufbauhilfen der Diakonie ausgegeben werden dürfen. Privatpersonen werden 80 Prozent der Baukosten vom Bundesland erstattet. Wer für die verbleibenden 20 Prozent nicht selbst aufkommen kann, erhält Spendengelder.

Ein weiterer Grund liegt aber auch darin, dass viele Betroffene noch gar keine Anträge gestellt haben, zum Beispiel weil sie mit den Formularen überfordert sind oder schlicht nicht wissen, wo sie die Hilfe erhalten können. Gerade diese Menschen möchte die Diakonie erreichen. Dafür besuchen die Nothilfe-Koordinatoren der Diakonie Katastrophenhilfe Thomas Beckmann und Tommy Bouchiba derzeit die Regionen, die bislang weniger im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen.

Das Problem der digitalen Welt

Dazu gehört auch die ländliche Region rund um Trier. Etwa 2.000 Haushalte sind in den verschiedenen kleinen Dörfern von der Flutkatastrophe betroffen, in denen viele ältere Menschen leben. „Sie sind technisch nicht gut aufgestellt und haben zum Teil kein oder nur ein sehr schlechtes Internet“, erzählt Carsten Stumpenhorst, Geschäftsführer der Diakonie Trier. Das mobile Team, das jeden Tag bis zu eine Stunde zu den Menschen in den Dörfern unterwegs ist, bringt dafür auch die Technik mit.

„Fast alle Anträge, die gestellt werden müssen, sind online. Unsere Mitarbeitenden helfen den älteren Menschen, Mailadressen einzurichten. Wo es kein W-LAN gibt, nutzen sie die Unterstützung der Vereine oder der Feuerwehr vor Ort.“ Kreativität ist also gefragt – und die Zusammenarbeit vieler Akteure, um den betroffenen Menschen dabei zu helfen, ihr Zuhause wieder aufzubauen.

Text: Sabine Damaschke, Grafik: Ann-Kristin Herbst