Das "Ö" ist links neben der Liednummer zu finden.

Ohne „Ö“ fehlt uns was

von Redaktion EKASuR

19.08.2022

Ist Ihnen schon mal das „Ö“ im Evangelischen Gesangbuch (EG) aufgefallen? Es steht bei einer Vielzahl von Liedern neben der Liednummer.


Dieses „Ö“ steht für Ökumene und kennzeichnet Lieder, die zum gemeinsamen Liedgut vieler verschiedener deutschsprachiger Konfessionen gehören. Dazu muss das Lied nicht zwingend besonders alt sein, sondern eben beliebt und weit verbreitet. Das „Ö“ macht deutlich, dass das Lied in genau dieser Text- und Melodiefassung in mehreren Konfessionen in Gebrauch ist. Dies gilt etwa für das Adventslied „Die Nacht ist vorgedrungen“ von Jochen Klepper und Johannes Petzold. Dieses Lied wird in allen deutschsprachigen Landes- und Freikirchen gesungen. Überhaupt sind es oft die Advents- und Weihnachtslieder, die eine große Verbreitung haben – auch dann wenn sie aus verschiedenen Konfessionen stammen.

Das Ziel: Gemeinsam singen können

Wie aber kam es zu diesem „Ö“? Als 1969 ein neues katholisches Gesangbuch entstehen sollte, wurde deutlich, dass in diesem Gesangbuch auch eine große Zahl von ursprünglich evangelischen Liedern abgedruckt werden sollten. So ging man von katholischer Seite auf die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) zu und rief gemeinsam die „Arbeitsgemeinschaft für ökumenisches Liedgut“ ins Leben und holte auch die Freikirchen mit ins Boot.

Bis heute gehören zu dieser Arbeitsgemeinschaft neben der evangelischen und der katholischen Kirche auch die Altkatholiken, Methodisten, Baptisten, Mennoniten, Adventisten, Apostolische Gemeinden und Brüdergemeinen – jeweils aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Auch Vertreter aus der ehemaligen DDR waren damals vertreten. Es sollte ein konfessionell übergreifendes Projekt sein, das dazu beitragen sollte, dass man gemeinsam singen kann.

Ein erster Schritt war, eine gemeinsame Kernliederliste zu erstellen. Nachdem man zunächst nur an rund fünfzig Lieder dachte, war man bei der Erarbeitung schnell bei hundert Liedern – darunter Lieder wie „Macht hoch die Tür“ und „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“.

In einem zweiten Schritt wurden die Lieder und ihre Entstehungs- und Verbreitungsgeschichte untersucht, um zu einheitlichen Text- und Liedfassungen zu kommen. Dabei stellte sich auch immer die Frage nach der heutigen Singbarkeit der Lieder in Bezug auf sprachliche oder inhaltliche Aspekte.

Da es aber nicht immer möglich war, die in den Konfessionen unterschiedlich gewachsenen Liedtraditionen zu vereinheitlichen, wurde als zweites Symbol das „Ö“ eingeführt. Dies kennzeichnet eine große Nähe zur von der AÖL festgelegten Form, macht aber deutlich, dass es teilweise Abweichungen gibt.

 Aus unserem Liederkanon nicht mehr wegzudenken

Wenn man sich nun die Liste der Lieder und ihr Vorkommen in den Gesangbüchern näher anschaut, so fallen einige Lieder besonders auf. Von „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“ gibt es in unserem rheinischen Gesangbuch zwei Fassungen, weil man den konkreten Bezug zu den Erben Abrahams in der fünften Strophe beibehalten und zugleich die ökumenische Fassung abdrucken wollte.

Spannend bei diesem Lied ist auch die Vielzahl der Sprachen, in die es übersetzt wurde. Allein in unserem Gesangbuch sind sechs davon zu lesen.

Etwas zum Schmunzeln können wir auch bei dem Lied „Ich steh an deiner Krippe hier“ entdecken: Hier war im katholischen Gesangbuch „Gotteslob“ bis 2013 die Melodie nach Martin Luther in Gebrauch, während alle anderen Gesangbücher bereits den Text mit der Melodie von Johann Sebastian Bach sangen.

Schön ist auch zu sehen, wie sich Traditionen noch immer verändern und weiterarbeiten: Typisch evangelische Lieder wie „Komm, Herr, segne uns“ und „O Du fröhliche“ hatten 1975 noch keinen Eingang in das katholische Gotteslob gefunden – seit der Neuauflage von 2013 aber sind sie dort mit aufgenommen.

Das ist für mich ein Zeichen von gelebter Ökumene, die wir durch gemeinsame Gottesdienste – besonders auch durch Schulgottesdienste – erleben: weil wir gemeinsam evangelische wie katholische wie freikirchliche Lieder singen, werden sie uns so vertraut, dass wir sie aus unserem Liederkanon nicht mehr wegdenken wollen. Deshalb ist für mich ganz klar: Ohne „Ö“ fehlt uns was.

Annekathrin Bieling, Pfarrerin in Hennef

 

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