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In höchster Not hilft eine Vertrauliche Geburt

von Anna Neumann

22.12.2020

Elke Hörmann ist Sozialpädagogin und Familientherapeutin in der Schwangerenberatung der Diakonie An Sieg und Rhein und Ansprechpartnerin für Vertrauliche Geburt im Rhein-Sieg-Kreis - ein Interview


Vor zweitausend Jahren hat mit einer Geburt eine neue Zeit begonnen, so weltbewegend war sie. Die widrigen Umstände hätten das nicht vermuten lassen. Barmherzigkeit hat Jesus gepredigt und vorgelebt. Wenn wir das heute ernst nehmen und auf alle Lebensbereiche übertragen, wird klar, dass wir auch mehr dafür tun müssen, um Schwangeren in schwierigen Situationen zu helfen. Wann ist gar eine Vertrauliche Geburt not-wendig?

Wenn eine Frau ihre Schwangerschaft verheimlicht, weil sie so sehr in Not ist, dann kann die Möglichkeit einer Vertraulichen Geburt Leben retten – Mutter und ungeborenem Kind.

Warum verheimlichen Frauen eine Schwangerschaft?

Sie haben meistens mehrere Probleme auf einmal. Zum Beispiel Angst vor Gewalt in der Partnerschaft, Überforderung durch zu viele Kinder oder nichteheliche Kinder, eine psychische Erkrankung oder ein Suchtmittelproblem.

Wäre eine Adoption nicht die bessere Lösung?

Wir zeigen Schwangeren die Adoption immer als einen Lösungsweg auf. Er wird auch immer mal wieder angenommen. Allerdings unterliegen die Schwangeren massiven Ängsten, bei einer Adoption kann Schwangeren nicht grundsätzlich zugesichert werden, unerkannt zu bleiben. Zudem gibt es immer noch die soziale Stigmatisierung. Eine Frau, die ihr Kind abgibt, gilt als Rabenmutter. Da müssen wir als Gesellschaft besser werden. Ich weiß: Keine Frau entscheidet leichtfertig, ihr Kind wegzugeben. Davon müssen wir vernehmbarer sprechen.

Das heißt, es braucht für die Frauen in Not, die sich nicht zu einer Adoption entschließen können, eine Lösung. Wie funktioniert eine Vertrauliche Geburt?

Die schwangere Frau kommt in eine Beratungsstelle, zum Beispiel die Schwangerenberatung der Diakonie. Dann haben wir Zeit, in Ruhe über alles zu sprechen. Es sind weitreichende, existenzielle Entscheidungen. Ich wurde aber auch schon von jetzt auf gleich in eine Klinik gerufen. Da musste ich in kürzester Zeit Kontakt zu der betroffenen Frau aufbauen und ihre Lage erfassen – unter dem Zeitdruck der bevorstehenden Geburt. Die schwangere Frau hat womöglich Angstzustände, möchte das Kind nur gebären, aber dann einfach die Klinik verlassen können.

Warum kann eine Geburt nicht komplett anonym laufen?

Das geht schon, dann wäre es ein „anonyme“, keine „vertrauliche“ Geburt. Jedoch hat das Kind dann nicht mehr die Möglichkeit, nach seinen Wurzeln zu suchen. Der Kontakt wäre für immer versiegt. Womöglich verändert sich bei der Mutter innerhalb von 16 Jahren vieles, die sehr belastende Lebenssituation verbessert sich, ein Kontakt zwischen ihr und dem Kind wird doch möglich. Bei der Vertraulichen Geburt kann die Schwangere medizinisch sicher entbinden und muss nur einmal im sogenannten Herkunftsnachweis ihre Daten offenlegen. Es werden der richtige Name der Mutter, Adresse und Geburtsdatum festgehalten. Das erfahre ich als Einzige, weil ich den gültigen Personalausweis einsehe. Aber er bleibt dann ein Geheimnis, denn ich verschließe den Nachweis und schreibe außen ein Pseudonym drauf. Der Umschlag wird dann mit den Angaben zu Geburtsdatum, Geburtsort, Klinik und – in diesem Fall – meinem Namen – 16 Jahre verschlossen im Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben aufbewahrt.

Und das Kind – wo wächst es auf?

Nach der Geburt wird das Kind einer Pflegefamilie oder Adoptionseltern anvertraut. Sie werden extra geschult, um sich auf diese besondere Situation einzustellen.

 

Links

Infos und Kontakt zur Schwangeren- und Schwangerschaftskonfliktberatung der Diakonie An Sieg und Rhein und zur Info-Seite Vertrauliche Geburt