„Frauengeschichte*n“ – auch An Sieg und Rhein

von Anna Neumann

04.03.2021

„Unser Kirchenkreis ist ein Vorreiter gewesen“, betont Anne Tilian. „Wir haben wirklich dafür gekämpft.“ Ingrid Daniels sagt rückblickend: „Was haben wir damals gerödelt.“


Was die beiden Frauen meinen: Sie gehören zu den Frauen, die das Frauenreferat des Evangelischen Kirchenkreises An Sieg und Rhein ertrotzt haben. Anne Tilian war damals Referentin der Evangelischen Erwachsenenbildung, Ingrid Daniels Vorsitzende des Synodalausschusses für Frauenarbeit.

Die Rede ist von den neunziger Jahren, als es immer noch wenige Pfarrerinnen gab. Auch in den Presbyterien waren noch kaum Frauen vertreten. Es ging um die Hälfte des Himmels; es ging um Frauenrechte in der Kirche; es ging darum, „die Bibel anders zu lesen, weil Frauen andere Erfahrungen haben“, wie Anne Tilian sagt.

Dreißig Jahre ist das her – in vielen rheinischen Kirchenkreisen und auch auf landeskirchlicher Ebene. Daran erinnert die Broschüre „Frauengeschichte*n – Die frauen(politische) Arbeit in der Evangelischen Kirche im Rheinland“. Darin ist unter anderem ein kleiner Beitrag über die Geschichte des Frauenreferats An Sieg und Rhein enthalten. Titel: „Es ist längst noch nicht alles gut“.

Erinnerung an Christa Schnapp

1991 wurde das hauptamtliche Frauenreferat errichtet. Erste und einzige Stelleninhaberin war die Theologin Christa Schnapp (1948-2010). Die Stelle war zunächst vollzeitlich, später reduziert: Christa Schnapp übernahm zu zwei Dritteln Aufgaben in der Evangelischen Erwachsenenbildung.

Herausragend war die Sondersynode „Gewalt gegen Frauen“ am 20. Juni 1998 in Hangelar. Dass sie stattfinden konnte und dass ausführliches Material zu den verschiedenen Aspekten von Gewalt gegen Frauen verbreitet wurde, war ein Erfolg des Frauenausschusses und der Frauenreferentin, so Ingrid Daniels, Jahrgang 1932, ebenso die Annahme der Beschlussvorlage ohne Änderungen.

Feministische Theologie etabliert

Die Etablierung Feministischer Theologie war eine der expliziten Aufgaben der Frauenreferentin An Sieg und Rhein, die es von 1991 bis 2008 gab. „Sie hat mir einen neuen Zugang zur Bibel gegeben“, sagt heute Gisela Dumke aus Sankt Augustin, Jahrgang 1939. Sie war ehrenamtliche Leiterin eines Frauenkreises in ihrer Kirchengemeinde, beruflich war sie zuletzt Leiterin einer Spezialbibliothek im Bereich Bergbau. Die Feministische Theologie habe ihrem Glauben „eine andere Richtung und Tiefe gegeben“.

Ulla Pabst, Jahrgang 1942, von Beruf Bankkauffrau, ebenfalls ehrenamtlich engagiert, erinnert sich positiv an die thematische Arbeit während Studienreisen und Wochenendfahrten, organisiert vom Frauenreferat. So habe sie „einen neuen Zugang zu Religion“ bekommen.

Bis in die Nächte diskutiert

Gern erinnern sich die beiden Frauen aus Sankt Augustin an die „Muttertagsreisen“, wo sie an der Nordseeküste im belgischen De Haan entspannten, aber auch intensiv arbeiteten. Themen waren beispielsweise der Heilige Geist, „Maria Magdalena – Sünderin oder Prophetin?“ oder auch „Unsere Mütter“. Die Themen seien teils emotional sehr aufwühlend gewesen. Bis in die Nächte wurde über sie diskutiert. Viel Neues kennen- und lieben zu lernen gab es bei Studienreisen und bei Besuchen der Deutschen Evangelischen Kirchentage.

„Gewalttätigkeit und Rache sind nicht nur einer fernen Vergangenheit eigen, sondern gehören in unsere Gegenwart… es ist längst noch nicht alles gut“, predigte Christa Schnapp 1994 in der Siegburger Auferstehungskirche. Als die Theologin 2008 als Frauenreferentin ausschied, wurde die Stelle nicht mehr neu besetzt.

Rock auf der Kanzel

Frauengeschichte*n – der Titel der landeskirchlichen Broschüre läßt sich weiten, über das Thema Frauenreferat hinaus. Noch bis Ende Januar war Annette Hirzel Schulpfarrerin in Siegburg – sie musste sich noch als Vikarin diesen Satz anhören: „Ein Rock gehört nicht auf die Kanzel.“ Kurz darauf, als damals sog. Hilfspredigerin, musste sie die Gemeinde wechseln, weil sie abgelehnt wurde. Weil: Frau. Annette Hirzel: „So lang ist das noch nicht her.“

Heute ist in den Gottesdiensten und (Gruppen-) Veranstaltungen in den 30 evangelischen Gemeinden an Sieg und Rhein weibliche Spiritualität vielfältig integriert. Der jährliche Mirjam-Sonntag wird in den Gottesdiensten gefeiert. Aber es gibt durchaus auch immer mal wieder Abwehrhaltungen.

Noch viel zu tun

Strukturelle Probleme wie das Gender Pay Gap, die Lohnlücke zum Nachteil von Frauen, besteht bis heute fort in Kirchengemeinden und Kirchenkreis. Erziehungs- und Teilzeit-Zeiten, immer noch zumeist von Frauen geleistet, führen schon während der Dienstjahre zu Benachteiligungen, nicht erst bei Rente oder Pension. Finanzielle Nachteile nach einer Scheidung, Altersarmut von Frauen – die Liste ist länger.

Seit 2016 steht dem Kirchenkreis An Sieg und Rhein erstmals eine Frau vor. Für Superintendentin Almut van Niekerk bleibt im Blick auf die strukturelle Benachteiligung von Frauen und auf die weibliche Prägung der Glaubenswelten „noch viel zu tun“. Auch gesellschaftlich. Schwierig sei ja schon die Unterrepräsentanz von Frauen, etwa in Spitzenpositionen in großen Unternehmen. Viel schwieriger aber findet die Theologin „das fehlende Gespür dafür, dass hier etwas nicht stimmt“.

 

Link

zur landeskirchlichen Broschüre