Herbert Beckmann, Mitarbeiter der Diakonie-Katastrophenhilfe, zuständig für die Wärmehilfe im Hochwassergebiet an der Ahr, besucht das stark betroffene Ahrweiler an der Ahr, um sich die Schäden anzuschauen. Foto: Frank Schultze / DKH

Flutkatastrophe vor einem Jahr – Die Diakonie bleibt und hilft weiter

von Anna Neumann

14.07.2022

Weil die Folgen der Katastrophe Betroffene und Helfende auch ein Jahr später noch an ihre körperlichen und seelischen Grenzen bringen, versichert die Diakonie: Wir bleiben!


Die Flutnacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 wird Gabi Gasper nie vergessen. Die gebürtige Altenburgerin harrte gemeinsam mit ihrem Mann Thomas auf dem Garagendach aus. „Autos und Gartenhäuser sind einfach an uns vorbeigeschwommen“, berichtet sie. Dabei sei zuerst nur der Keller des Hauses mit Wasser vollgelaufen. „Doch innerhalb kürzester Zeit stieg es bis ins Obergeschoss.“

Gabi Gasper erinnert sich: „Ich habe meinen Mann gefragt, was wir noch retten können.“ Dann habe sie sich das Fotoalbum mit Bildern des Sohnes gepackt, der vor knapp sieben Jahren tödlich verunglückt ist. Stunden später, als es schon hell wurde, konnte sich das Ehepaar selbst zu einem der wenigen nicht zerstörten Häuser retten. „Von dort aus wurde ich mit einem Hubschrauber evakuiert, mein Mann ist geblieben“, so Gabi Gasper. Denn sie und ihr Mann seien im Ahrtal fest verwurzelt. „Ur-Altenburger“, sagt sie. „Auch unsere Familien leben hier.“

Alles verloren

Altenburg gehört zu den Orten, die von der Flut am schlimmsten betroffen sind. Rund 95 Prozent der Gebäude sind zerstört. Auch das Haus von Thomas und Gabi Gasper muss abgerissen werden. „Wir waren nicht versichert“, so Gasper weiter. Das Paar lebt nun in einer Wohnung im Nachbarort und hofft, sein Haus irgendwann wieder aufbauen zu können. Auch rund ein Jahr nach der Katastrophe fällt es der Frau schwer, über das Erlebte zu reden. „Innerhalb von Stunden haben wir einfach alles verloren“, sagt sie und erinnert sich: „In den Wochen danach habe ich nur funktioniert und bis zur Erschöpfung gearbeitet.“

In dieser Zeit entstand auch der Kontakt zu Sabine Elsemann. „Sie ist mein Flutgeschenk“, sagt Gabi Gasper, die sich auch zwölf Monate nach der Katastrophe noch mit vielen Dingen überfordert fühlt, oft traurig sei, gereizt und permanent müde. „Aber Sabine begleitet mich allmählich ins Leben zurück.“

Die Psychologin und Notfallseelsorgerin gehört zum mobilen Fluthilfeteam der Diakonie Katastrophenhilfe Rheinland-Westfalen-Lippe (RWL) im Ahrtal und kümmert sich sowohl um Betroffene als auch um Einsatzkräfte. Koordiniert wird die Arbeit in Kooperation mit der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR).

Und seit Ende Juni steht fest: Die psychosoziale Begleitung der Betroffenen wird fortgesetzt. Der Einsatz war zunächst bis Ende August 2022 geplant. Nun wird er um ein Jahr verlängert. „Denn die Menschen brauchen weiterhin unsere Unterstützung“, erklärt Sabine Elsemann. „Unsere Arbeit in der psychosozialen Begleitung ist ein Prozess. Vergleichbar mit einem Kleinkind, das laufen lernt. Man nimmt es an die Hand, es fällt hin, wir helfen ihm auf. Bis es schließlich selbst losläuft. Das ist auch unser Ziel: dass die Menschen hier irgendwann wieder selbst ihr Leben leben können.“ Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg – auch finanziell.

Deshalb wird die Diakonie Katstrophenhilfe RWL die Menschen auch weiterhin umfassend unterstützen. „Immer wieder hören unsere Mitarbeitenden in den mobilen Fluthilfeteams: ,Bitte vergesst uns nicht!‘ Für uns steht deshalb fest: Die Diakonie-Familie bleibt vor Ort, solange sie gebraucht wird“, betont Kirsten Schwenke, juristische Vorständin des Diakonischen Werks Rheinland-Westfalen-Lippe.

Bargeld alleine helfe zwar nicht. Die Förderung ist deshalb ganzheitlich angelegt, kombiniert  finanziellen Hilfen mit individueller Beratung und psychosozialer Begleitung. Das hilft in den teils komplexen Problemlagen der Menschen. Dafür wurden bereits 11,3 Millionen Euro ausgegeben, weitere 25 Millionen sind schon jetzt fest verplant.

Haushaltsbeihilfen weiter gefragt

Die Spendengelder der Diakonie Katastrophenhilfe RWL – insgesamt kamen 43,3, Millionen Euro zusammen – werden weiterhin dringend benötigt. Angeboten wurden und werden unterschiedliche Finanzhilfen wie Soforthilfen, Haushaltsbeihilfen und Wiederaufbauhilfen, auch ein Härtefallfonds wurde eingerichtet. Der Bedarf an Haushaltsbeihilfen beispielsweise ist weiterhin enorm, weil viele Menschen auch jetzt noch Unterstützung beim Wiederbeschaffen grundlegender Dinge wie Möbel und Haushaltsgeräte benötigen.

Auf Basis der aktuellen Zahlen plant die Diakonie Katstrophenhilfe RWL rund 5,5 Millionen Euro allein für Haushaltsbeihilfen. Bisher sind mehr als tausend Anträge auf Haushaltsbeihilfe bearbeitet, das entspricht mehr als drei Millionen Euro an ausgezahlten Hilfen allein in dieser Förderlinie. Der größte Teil der Spenden wird in den Wiederaufbau fließen. Aktuell sind dafür mindestens zehn Millionen Euro vorgesehen. Die Diakonie Katastrophenhilfe RWL appelliert an die Betroffenen, die vorhandenen Mittel in Anspruch zu nehmen. Außerdem werden aktuell Programme aufgelegt, um die sozialen Gemeinschaften vor Ort zu stärken.

Gegen Gefahren besser wappnen

Martin Keßler, Direktor der Diakonie Katastrophenhilfe, fordert ein Jahr nach der Flut: „Aus dieser Katastrophe müssen wir, gerade in Zeiten des fortschreitenden Klimawandels, Konsequenzen ziehen.“ Damit meine er nicht nur technische Lösungen wie Dämme oder Rücklaufbecken. Vielmehr brauche es auch „einen gemeinschaftlichen Ansatz, der die Bevölkerung über die Gefahren aufklärt und befähigt, mit diesen Gefahren umzugehen und sich vorzubereiten. Dazu gehören auch Trainings und Katastrophen- und Evakuierungspläne in den Gemeinden“.

Wichtig sei des Weiteren Aufklärung, wie Betroffene ihre Häuser möglichst nachhaltig wiederaufbauen können, sodass diese künftigen Katastrophen besser standhalten.  „Denn eins ist klar“, so Keßler weiter: „Wir müssen auch künftig mit solchen oder ähnlichen Katastrophen in Deutschland rechnen.“

Verena Bretz/diakonie-rwl.de

 

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